Posts in journalismus
wiedereinstieg trotz hürden

Mit den Kindern kommt bei vielen Frauen der Karriereknick – oder der komplette Ausstieg aus Beruf oder Studium. Beatrice Imhof und Sandra Ritter haben den Wiedereinstieg geschafft. Dank Mut, Zielstrebigkeit und sehr viel Arbeit.

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artikel erschienen im oktober 2015 im BERNpunkt, magazin des wirtschaftsraums bern.
text: manuela ryter, manuskript – das textbüro für journalismus und corporate publishing.

gut vernetzt

In Businessfrauen-Organisationen vernetzen sich erfolgreiche Wirtschaftsfrauen. Sie geben ihr Know-how weiter, fördern jüngere Mitglieder und kämpfen für ihre Anliegen in der Wirtschaft. Ein Blick nach Bern.

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artikel erschienen im oktober 2015 im BERNpunkt, magazin des wirtschaftsraums bern.
text: manuela ryter, manuskript – das textbüro für journalismus und corporate publishing.

das neue BERNpunkt zum thema verkehr

Die Lebensqualität in Bern ist gross – nicht zuletzt dank der verkehrsberuhigten Stadtquartiere. In diesem Punkt sind sich die meisten Verbände einig, wenn es um die Verkehrsentwicklung in Stadt und Region Bern geht. Grosser Streitpunkt ist jedoch die Kontroverse, wie viel motorisierten Individualverkehr (MIV) Stadt und Region auf ihren Hauptachsen vertragen. 

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dieser artikel erschien im mai 2015 im BERNpunkt, dem magazin des Wirtschaftsraums Bern.
text: manuela ryter, textbüro manuskript, journalistin bern.

kluge köpfe für kluge ideen
apps with love

Apps sollen uns das Leben erleichtern – das ist das Credo der Berner Agentur Apps with love. Die Entwickler in der Lorraine wissen, was es für eine gute Applikation braucht.

Smartphones bestimmen unser Leben. Doch eigentlich sind es nicht die Funktionen der fortschrittlichen Handys, die uns an den Bildschirm fesseln, sondern die Apps, die diesen zum Leben erwecken. Es gibt Apps für jeden erdenklichen Nutzen. Wir wissen dank einer App, wann der nächste Bus in unserer Nähe fährt, wir überwachen unser Baby und zählen die Kalorien per App, wir pflegen unseren Freundeskreis über Apps und analysieren per App die Lawinengefahr. Vieles ist Spielerei, vieles Zeitverschwendung, manches nützlich.

«Eine gute App erleichtert uns das Leben», sagt App-Spezialist Beni Hirt. Er muss es wissen – seit vier Jahren produziert der Mitbegründer der App-Agentur Apps with love in der Berner Lorraine Smartphone-Applikationen. «Nur Apps, die wirklich nützlich sind und uns einen klaren Mehrwert bringen, setzen sich durch», sagt er. Der Knackpunkt sei, dass häufig nicht voraussehbar sei, ob eine App tatsächlich nützlich sein werde oder nicht – «sonst wäre Facebook schon viel früher erfunden worden».

Kreativität ist gefragt

Beni Hirt ist jung, seine schwarze Brille rundet seinen schicken, urbanen Stil ab. Der 33-jährige Berner gehört zu jenen, die das Potenzial des mobilen Internets früh erkannt haben. Bei einem Sofa-gespräch nach dem Pokern wälzten der Betriebsökonom und seine Freunde erstmals die Idee, selbst eine App zu entwickeln. Im Jahr 2010 gründete Hirt zusammen mit einem Designer, einem gadgetaffinen Lehrer und einem Software-Entwickler Apps with love.

Die damals initiierte Einladungs-App «Come on!» kam erst drei Jahre später auf den Markt. Doch bis dahin war aus dem Start-up mit der ursprünglich bescheidenen Geschäftsidee – der Entwicklung einer eigenen App – eine erfolgreiche Agentur mit 16 Mitarbeitern geworden. Mit Apps wie «Openair-Buddy» für die Swiss-com oder «Gleis 7» für die SBB festigte die Agentur ihren Platz im hart umkämpften Apps-Markt. Der unterschiedliche Hintergrund der vier Gründer unterscheide das Unternehmen bis heute von der Konkurrenz, sagt Hirt.

Denn bei App-Entwicklern ist viel Kreativität gefragt. Und diese flimmert im kleinen Büro von Apps with love regelrecht in der Luft. Apps werden hier nicht nur mit Liebe und Leidenschaft, sondern auch mit viel Know-how produziert.

Die Kunst der Entwicklung

Das Team von Apps with love weiss, was es für eine gute App – abgesehen von der guten Idee – noch braucht. «Eine gute App ist klar und einfach aufgebaut und hat ein tolles Design», sagt Hirt. Erst dann werde ihre Funktion für den Nutzer zugänglich. Bei den Apps gilt also, was im komplexen Leben immer seltener wird: weniger ist mehr. Hier liege die Kunst der App-Entwickler, sagt Hirt, «denn je einfacher eine App auf dem Bildschirm daher kommt, desto komplexer ist in den meisten Fällen ihre Entwicklung».

Eine gute App sei jedoch nicht in jedem Fall eine erfolgreiche App, sagt Hirt: «Eine App muss an die Massen, das braucht viel Zeit und ein grosses Marketingbudget.» Hirt und sein Team mussten dies bei ihren vier Eigenproduktionen schmerzlich erfahren. Mit eigenen Apps Geld zu verdienen, sei sehr schwierig, sagt Hirt – egal ob die App gratis mit Werbung oder für zwei Franken im App-Store erhältlich sei. Die in der Schweiz produzierten Apps seien daher meistens Marketinginstrumente. So etwa die von Hirt und seinem Team produzierte App «SBB Connect», mit der Reisende allfällige Facebook- und Twitterfreunde im gleichen Zug auffinden können.

Die Entwicklung im Apps-Bereich werde trotzdem massiv weitergehen, sagt Hirt, «das Potenzial ist noch riesig». So werde etwa im Bereich der Indoor-Navigation viel Neues kommen. «Apps werden uns beispielsweise im Laden zu den Aktionen führen», sagt Hirt. Zu was Apps sonst noch fähig sind, wird die Zukunft zeigen.

dieser artikel erschien am 20. mai 14 in der bz/bund-beilage "bildung".
text: manuela ryter, textbüro manuskript, bern 

Die urbane Sehnsucht nach mehr Natur

Urban Gardening ist mehr als nur ein Trend. Die junge, urbane Stadtbevölkerung holt sich die Natur zurück in die Stadt. Auch in der Stadt Bern verdecken Kräuter, Wildblumen und Gemüse grauen Beton.

Nicht jedes Blumenbeet in einem städtischen Vorgarten ist dem Trend Urban Gardening zuzuschreiben. Nicht jeder Schrebergarten gehört dem Phänomen an, das in den vergangenen Jahren von New York in die europäischen Grossstädte schwappte. Urban Gardening ist mehr: Der Griff zu Spaten, Schaufel und Setzlingen ist Ausdruck eines modernen, städtischen Lebensgefühls. Er beschreibt die Sehnsucht der jungen, urbanen Bevölkerung nach mehr Natur und Bodenständigkeit. Nach Wildblumen und naturnahen Erholungsräumen, nach gesundem und regionalem Bio-Gemüse, Artenvielfalt und gemeinschaftlichen Projekten. Es zieht sie hinaus in die Hinterhöfe und auf die Quartierplätze, die sie beleben und begrünen wollen, statt nur noch über Facebook zu kommunizieren. Sie wollen ihren Lebensraum selbst gestalten und holen sich mit Kreativität die Natur zurück in die Stadt.

Freiraum für Experimente

Kreativ geht es auch im Zentralpark in der Berner Lorraine zu und her. Auf der Brachfläche ziehen seit 2011 die Quartierbewohner gemeinsam Gemüse aus Säcken, Kisten und Abflussrohren. Im Gegensatz zu den Schrebergärten, wo jeder sein eigenes Gärtli hegt und pflegt, gärtnern hier rund 25 junge Städter zusammen und die Kartoffeln, Krautstiele und Kräuter, die hier wachsen, gehören allen. Jeder, der hilft, darf ernten. Und einmal im Monat wird gemeinsam gekocht, mit dem eigens gezogenen Gemüse. «Die Leute wollen wissen, woher ihr Gemüse kommt», sagt Sebastian Haas, der seit Beginn dabei ist.

Doch im Zentralpark stehe nicht der Ertrag im Vordergrund, hier gehe es um das Gemeinschaftliche. Das Gärtnern verbinde und schaffe Freiraum und Freiheit. «Es ist spannend, den öffentlichen Raum aktiv gestalten zu dürfen», sagt der 32-jährige Krankenpfleger und Landschaftsgärtner, «wir haben hier Narrenfreiheit – die Brache ist unsere Experimentierfläche.» Mit der Saatgutbank im Q-Laden und an der jährlichen Setzlingsbörse sensibilisieren die Lorraine-Gärtner ausserdem für die Biodiversität – ein grosses Anliegen von Urban Gardener Haas: «Es gibt unzählige Tomatensorten, nur sind die wenigsten davon bekannt.»

Die Kreativität der urbanen Gärtner wertet die Stadt auf: In der Lorraine ist nicht nur ein Garten, sondern ein naturnahes Gelände entstanden, das auch von Schülern, Familien und Arbeitern aus dem Quartier genutzt wird – zum Picknicken, Spielen oder Ausspannen. Urban Gardening sei jedoch nur der Anfang, sagt Haas. Wen die Gärtner-Leidenschaft packe, werde früher oder später im Boden statt in Kisten anpflanzen wollen – und sich ein Stück Land oder einen Schrebergarten suchen.

Wildpflanzen statt Blumenrabatte

Dass der Trend Urban Gardening in die 27 Stadtberner Schrebergärten mit den über 2000 Parzellen dringt, bestätigt auch Walter Glauser, Bereichsleiter Familiengärten von Stadtgrün Bern. «Die Familiengärten verändern sich», sagt er – dies sehe man nicht nur an den jüngeren, urbaneren Gärtnern, sondern auch an den Pflanzen. Bio hält Einzug, neu wachsen hier auch Wildpflanzen anstelle herausgeputzter Blumenrabatte. «Wir begrüssen dies», sagt Glauser, selbst leidenschaftlicher Gärtner.

Auf der Brache des alten Tramdepots am Burgernziel eröffnete er 2013 einen Gemeinschaftsgarten – nur dass die rund 30 Gärtnerinnen und Gärtner hier nicht wie in der Lorraine gemeinsam säen und ernten, sondern nebeneinander. Der Ertrag sei klein, aber der Aufwand auch, sagt Katja Jucker, die das Projekt koordiniert. «Die Leute – und vor allem die Kinder – sind fasziniert zu sehen, wie ein Gemüse wächst.» Und der Garten sorge über den Gartenhag hinaus für Leben. Auf der Wiese bei der Markuskirche wird in diesem Frühling ein ähnliches Projekt entstehen. Am Ralligplatz in der Länggasse ziehen die Bewohner seit 2012 Rüebli und Fenchel für die Schmetterlinge. An der Normannenstrasse in Bümpliz stellt die Stadt den Anwohnern Parzellen als «Küchengärten» zur Verfügung. Und im Brünnengut steht eine grosse Obstwiese, auf der die Bevölkerung die Bäume pflegt, die Äpfel und Birnen dann erntet und mostet.

«Die Menschen entdecken die Lust am Gärtnern neu», sagt Glauser – für ihn sei dieser Trend ein Glücksfall. «Die Menschen sollen ihren Lebensraum mitgestalten und den Kontakt mit Erde und Pflanzen wieder finden. Das ist meine Motivation.» Und das Potenzial sei noch lange nicht ausgeschöpft. In der Elfenau will Glauser einen Naschgarten anpflanzen, wo die Bevölkerung ab 2015 legal Beeren stehlen darf. Ein gemeinschaftlich bebauter Acker schwebt Glauser vor. Oder ein in Mischkultur besätes Stück Land, das man meterweise pachten, pflegen und ernten kann. Sein ausgefallenstes Projekt, ein vertikaler Garten, an dem Bernerinnen und Berner dereinst auf kleinstem Raum Gemüse ernten dürfen, ist Glauser noch im eigenen Garten am testen.

Urban Gardening auf dem Land

Urban Gardening drängt jedoch nicht nur in die Schrebergärten, sondern auch aufs Land. In Worb bepflanzen 220 Leute des Vereins Radiesli mithilfe zweier Gärtnerinnen eine halbe Hektare Land nach biologischen Grundsätzen. Die Ernte wird wöchentlich an die Vereinsmitglieder verteilt. Und viele Städter, die wegen der Wohnungsnot aufs Land ziehen, verwandeln dort mit Betonplatten eingerahmte Rasenflächen und eingezäunte Rabatten in Erholungsräume mit einheimischen Pflanzen, biologisch angebauten Gemüsegärten, Kiesplätzen und Trockensteinmauern, die nicht nur Schmetterlinge und Insekten, sondern auch Igel, Vögel und Salamander anziehen. Denn so urban der Trend Urban Gardening ist, so naturnah und nachhaltig möchte er sein.

dieser artikel erschien in der bz-beilage zur eigenheim bern 14.
text: manuela ryter, textbüro manuskript, bern

«Reinigen fördert unseren Geist»

 

Ökologie, Homöopathie und Anthroposophie gehören für Beate Oberdorfer 
zur Lebensgrundlage. Für die Co-Geschäftsführerin von Sonett spielt Wasser 
die Hauptrolle beim Putzen und Waschen. 

Frau Oberdorfer, wie sauber ist Ihre Wohnung? 
Beate Oberdorfer: Ich mache gerne sauber. Für mich bedeutet Putzen, dass mein Zuhause danach ordentlich ist. Ich erlebe es deshalb als eine wohltuende Tätigkeit. Reinigen gehört zur geistigen Entwicklung. Die äussere Reinigung ist auch eine innere Reinigung.

Haben Sie schon immer mit ökologischen Mitteln gewaschen und geputzt?
BO: Ja. Mein Elternhaus war ganz stark von der Reformbewegung geprägt, ich bin mit Homöopathie und Ökologie aufgewachsen. 

Sie bezeichnen Wasser als das eigentliche Reinigungsmittel. Wäscht Wasser denn sauber? 
BO: Waschmittel brauchen wir, um die Oberflächenstruktur des Wassers aufzubrechen. So kann das Wasser ins Gewebe eindringen und den Schmutz lösen. Das eigentliche Reinigungsmittel aber ist das Wasser. 

Das Wasser in den Sonett-Produkten wird verwirbelt und energetisiert. Ausserdem werden die Produkte mit balsamischen Zusätzen, die dazu rhythmisiert werden, bereichert. Was bringen diese Vorgänge?
BO: Die Verwirbelung des Wassers dient nicht dazu, dass das Waschmittel im stofflichen Sinne besser reinigt oder besser abbaubar ist. Unser Ziel ist es, dem Wasser einen aufbauenden Impuls zuzuführen. Wasser hat eine eigene Beweglichkeit; ein natürlich fliessender Fluss reinigt sich auch selbst durch Verwirbelung. Auch den balsamischen Zusätzen wie Lorbeer oder Weihrauch prägen wir im Oloid eine Achterbewegung ein, ähnlich der Mäanderbewegung der natürlichen Flussläufe. 

Weshalb tun Sie das?
BO: Weil wir das Wasser mit Putzmitteln schädigen, indem wir dessen Oberflächenstruktur zerstören – da können wir noch so ökologische Produkte verwenden. Wir wollen dem Wasser Lebenskräfte zurückgeben. Man findet dieses Prinzip der Bewegung auch in der Homöopathie und in der biologisch-dynamischen Landwirtschaft. 

Welche Rolle spielt das Wasser in Ihrem Leben?
BO: Ich versuche, Wasser bewusst zu geniessen. Und ich halte mich gerne an Orten auf, wo Wasser ist. Ich wohne in einem Haus direkt am Bach. Wasser ist ein belebendes Element.

Sie führen eine anthroposophisch geprägte Firma, die keine Gewinn-maximierung anstrebt, sondern behinderte Menschen beschäftigt und Angestellten Kurse in Eurythmie bezahlt. Ist Sonett ein Sozialprojekt? 
BO: Nein. Es ist ein Wirtschaftsunternehmen, in dem Menschen unterschiedlichster Art die Möglichkeit haben, sich zu entwickeln. Dies ist eine wichtige Aufgabe der Arbeitswelt. 

Welche Rolle spielt Anthroposophie in Ihrem Leben?
BO: Durch sie habe ich verstanden, dass das, was mich umgibt, etwa die Arbeit oder die Menschen um mich herum, sinnvoll ist und dass ich eine Aufgabe in diesem Gefüge habe. Jeder Mensch hat seine Aufgabe. Es geht darum, auch anderen Menschen zu helfen, diese zu finden.

Interview: Manuela Ryter, textbüro manuskript bern

Dieser Text erschien im März in der Biofachzeitschrift Oliv.

Mit Handwerk zu mehr Mobilität

Als Orthopädistin macht Lisa Reinhard Menschen mobiler. Dieser Beruf vereint Handwerk, medizinisches Wissen und den Umgang mit Menschen.

Bewegung ist ihr Leben. Als professionelle Tänzerin schafft Lisa Reinhard mit Bewegung Kunst. Und als Orthopädistin bewegt sie Menschen, indem sie sie mobiler macht. Die 23-jährige Bernerin steht in der grossen Werkstatt des Ortho-Teams in Bern, wo sie Teilzeit arbeitet. Hier geht es um Einlagen, Orthesen und Prothesen. Um Korsette und massgefertigte Rollstühle. Um Gehhilfen und Spezialschuhe. In jeder Ecke dieser Werkstatt wird gegipst, geschliffen, gefräst und genäht. Reinhard hantiert mit grossen Maschinen, arbeitet mit modernster Technik am Computer oder in Feinstarbeit von Hand. Sie hat mit Metall und Kunststoff, Karbon und Polster, Leder und Stoff zu tun. Und in der Praxis vor den Türen der Werkstatt mit Menschen – den Kundinnen und Kunden, die diese Hilfsmittel benötigen.

Frauen in der Überzahl

Vor sich hat sie ein Korsett, das noch in Arbeit ist. Es wird seine Besitzerin, die an Muskelschwäche leidet, aufrecht halten und ihren Gang verbessern. Damit ihr Rü- cken gerader wird und die Schmerzen weniger werden. In einer Kiste warten die Unterschenkelorthesen eines Fünfjährigen mit cerebraler Lähmung. Diese «Schienen» sollen verhindern, dass sich seine Muskeln verkürzen, und ihm beim Laufenlernen helfen. Reinhard hat sie selbst gefertigt. Sie hat die Beine des jungen Kunden in der richtigen Stellung eingegipst und danach ein Modell gegossen, dieses geschliffen und mit Polster und erwärmtem Kunststoff überzogen. Nur die Näharbeit für Ledereinsatz und Klettverschlüsse überliess sie anderen Spezialistinnen. «Im Ortho-Team arbeiten wir in spezialisierten Abteilungen, aber eigentlich sind wir alle Allrounder und haben das Handwerk jedes Bereichs gelernt.»

Es sei die Abwechslung und Vielseitigkeit, die sie an diesem Beruf fasziniere, sagt Reinhard. Er verlange grosses handwerkliches Talent, soziale Kompetenzen und viel medizinisches Wissen. Die vierjährige Lehre, die in einem Orthopädie-Geschäft absolviert wird, sei daher gerade für Frauen attraktiv. Und tatsächlich: Waren noch vor 15 Jahren fast nur Männer an den zwei Berufsschulen in Zürich und Lausanne, seien die Frauen heute in der Überzahl. Pro Lehrjahr sind es rund 35 Lernende.

Sie kennt die andere Seite

Lisa Reinhard, die schon als Kind stundenlang bastelte, fühlt sich in der Werkstatt wohl. Das Talent und die Leidenschaft für den Beruf hat sie von ihrem Vater, der das Ortho-Team vor über 20 Jahren mitgründete. Heute werden schweizweit rund 200 Mitarbeitende beschäftigt. Als Jugendliche erfuhr sie selbst, was es heisst, wenn die Mobilität eingeschränkt ist: Ihre Wirbelsäule wuchs krumm heran und sie musste während drei Jahren ein hartes Korsett tragen. «Da lernte ich den Beruf kennen und schätzen. Ich erkannte, wie viel Arbeit in einem Hilfsmittel steckt.» Diese Dankbarkeit erhält sie heute von ihren Kunden. Sie sind gehbehindert, verletzt oder haben Schmerzen. Es sind Alte oder Kinder. Profifussballer, Banker oder geistig Behinderte.

Eine Arbeit, die Sinn macht

Der Umgang mit den Kunden sei so bereichernd wie herausfordernd, sagt die selbstbewusste junge Frau. Doch auch dies sei Teil der Ausbildung. «Das wichtigste ist, dass man jeden Kunden ernst nimmt. Auch mit Kindern oder mit geistig Behinderten kann man ganz normal reden – nur so findet man heraus, wo es drückt oder schmerzt. Und auch Senioren, die Schmerzen haben, muss man verstehen und ihnen zuhören können.» Ihre Stammkunden besucht Reinhard regelmässig im Spital, im Schulheim oder in Institutionen, und arbeitet dort mit Ärzten und Therapeutinnen zusammen. Die Mobilität ihrer Kunden gebe ihrer Arbeit Sinn, sagt Reinhard. «Mein Ziel ist es, dass sie ein eigenständigeres Leben führen können.» Oder dass sie schmerzfrei leben könnten – und dadurch mobiler seien. Denn mit Schmerzen nehme man immer den kürzesten Weg. Diese Herausforderung sei ihr Antrieb: «Ich weiss, wozu ich arbeite.»

Text und Bilder: Manuela Ryter, textbüro manuskript in Bern

Dieser Text erschien am 25.Februar 2014 in der BZ-Beilage "Bildung".

Gymnasium Lerbermatt bricht Tabu
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In Zeiten der Sparpolitik geht das Gymnasium Köniz-Lerbermatt neue Wege und lässt sich eine der zwei neuen Mint-Klassen von einem Könizer Medizinaltechnik-Unternehmen finanzieren. Andere Gymnasien kritisieren dies als Wettbewerbsverzerrung.

Die Sponsoring-Debatte erreicht auch die Gymnasien. Was bisher ein Tabu war, hat das Gymnasium Köniz-Lerbermatt bereits umgesetzt: Die ortsansässige Firma Haag-Streit, ein internationales Schwergewicht im Bereich der Medizinaltechnik, finanziert eine der beiden Mint-Klassen, die im Herbst im Rahmen eines kantonalen Mint-Förderprojekts gestartet sind («Bund» vom 13. November). Mint steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. 187 000 Franken hat der CEO Walter Inäbnit der Schule als Defizitgarantie für vier Jahre zugesprochen - mit der Auflage, dass die Schule weitere Geldgeber sucht. «Es geht hier um Gönnerschaft, nicht um Sponsoring», betont die Mint-Projektleiterin Gabriele Leuenberger, Konrektorin des Gymnasiums. Die Schule gehe weder Verpflichtungen ein noch erbringe sie Gegenleistungen. Auch inhaltlich nehme der Gönner keinen Einfluss. «Den Lehrplan für den Mint-Unterricht bestimmen wir.»

«Notwendiges Engagement»

Das Interesse an der Mint-Klasse sei gross gewesen, doch habe das Geld des Kantons nur für eine Klasse gereicht, so Leuenberger. «Wir standen also vor der Wahl, Schüler abzulehnen oder andere Finanzierungsquellen zu suchen.» Ihr sei es aus gesellschaftspolitischen Gründen wichtig, dass alle Schüler - insbesondere die vielen interessierten Frauen - Zugang zum Mint-Angebot hätten. Die Schule gelangte an Inäbnit, der im Beirat der Mint-Klasse sitzt. Einsitz haben weitere Grössen aus Wirtschaft und Wissenschaft wie etwa der Herzchirurg Thierry Carrel von der Universität Bern oder BKW-Chefin Suzanne Thoma. Inäbnit ist bereits als Gönner und Sponsor der Universität Bern und der Fachhochschule Bern bekannt, bei ihm stiess das Gymnasium auf offene Ohren.

«Wir brauchen in der Schweiz unbedingt mehr Ingenieure und Naturwissenschaftler», sagt Inäbnit. Er habe daher nicht gezögert, das «ausgezeichnete Projekt» zu unterstützen. Es sei - gerade angesichts der aktuellen Kürzungen im Bildungsbereich - notwendig, dass sich die Wirtschaft stärker engagiere, «sonst wird die Schweiz langfristig nicht mit dem Ausland mithalten können». Einfluss auf Unterrichtsinhalte nehme er nicht, sagt Inäbnit, das brächte seinem international tätigen Unternehmen nichts. «Wir bieten der Klasse einzig unsere Hilfe an, geben gerne Inputs oder ermöglichen den Schülern einen Einblick in unsere Labors, falls dies gewünscht wird.» Auch Plätze für Praktika, die Bestandteil der Mint-Richtung sind, werden Haag-Streit und andere Unternehmen zur Verfügung stellen.

Mittel zur Weiterentwicklung

Wie vereinbart sucht das Gymnasium nach weiteren Geldgebern. «Wir werden insbesondere Stiftungen und lokal verankerte Firmen anfragen», sagt Bernhard Blank, stellvertretender Rektor des Gymnasiums. Er könne sich vorstellen, dass das Finanzierungsmodell in Zeiten des Sparens ein Modell für die Zukunft werde, es seien bereits weitere Projekte aufgegleist. Wichtig sei, dass das zusätzliche Angebot allen Schülern offenstehe und keine Elite fördere. Auch dürften Image und Neutralität der Schule nicht darunter leiden. Und: «Der obligatorische Unterricht darf auf keinen Fall privat finanziert werden, das ist Aufgabe des Staates.» Fakultative Fächer und Projekte privat zu finanzieren, sei jedoch legitim, sagt Blank. So könne sich das Gymnasium die nötigen Mittel schaffen, um sich weiterzuentwickeln und das Bildungsangebot den gesellschaftlichen Veränderungen anzupassen.

Das Pilotprojekt Mint solle am Gymnasium Köniz-Lerbermatt zum festen Bestandteil werden, sagt Leuenberger. Falls der Kanton - Bildungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) hat die Gönnerschaft genehmigt - das Projekt nach der Pilotphase nicht weiter unterstützen sollte, werde das Gymnasium den Unterricht weiter privat finanzieren. Zuvor müssen Gönner gefunden werden für eine dritte Mint-Klasse, die aufgrund des grossen Interesses bereits im Herbst 2014 nötig wird.

Vorwurf Wettbewerbsverzerrung

Bei der Konkurrenz kommt das Vorgehen nicht gut an. «Das gab es noch nie», sagt Rolf Maurer, Rektor des Gymnasiums Neufeld. Er erachtet es als «problematisch», wenn sich in der Schule Staatliches und Privates vermischte. Es seien Vereinbarungen möglich, damit der Unterricht nicht beeinflusst werde. Anders als bei Universitäten mit einem Forschungsauftrag gebe es bei Gymnasien weniger Bereiche, die beeinflusst werden könnten. Das grössere Problem sieht er im Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen Gymnasien in Bern, «wenn eine Schule plötzlich bessere Projekte anbietet, nur weil sie den grössten Götti hat». Ein gewisser Wettbewerb sei wichtig, «es darf jedoch über Sponsoringbudgets kein Grosswettbewerb entstehen». Es sei darum gut, dass der Staat die Aufgaben definiere und auch finanziere.

Auch Elisabeth Schenk, Abteilungsrektorin am Gymnasium Kirchenfeld, spricht von einer Wettbewerbsverzerrung - diese habe jedoch bereits mit der Finanzierung der Mint-Projekte durch den Kanton begonnen. «Mit dem regulären Kostendach haben alle Schulen die gleichen Voraussetzungen und können Prioritäten setzen.» Noch sei dieser Spielraum vorhanden - trotz der kantonalen Sparübungen. Schenk steht einer Gönnerschaft durch Firmen grundsätzlich kritisch gegenüber. «Meiner Meinung nach müsste eine Schule dieser Grösse ein solches Projekt unter dem regulären Kostendach finanzieren können.» Wie bei Universitäten stelle sich die Frage nach der Abhängigkeit und der Einflussnahme: «Die Bildung ist und bleibt ein öffentlicher Auftrag.» Wenn ein Unternehmen eine Maturazeitung unterstütze, ein Instrument für ein Musikprojekt sponsere oder einzelne Schülerprojekte mitfinanziere, sei das unproblematisch. Bei einem Unterrichtsprojekt sei das jedoch anders: «Wenn Lehrerlöhne privat finanziert werden, überschreitet das eine Grenze.»

Das vierte Gymnasium im Berner Einzugsgebiet, das Gymnasium Hofwil, sieht das Ganze weniger kritisch: «Wenn gespart wird, ist es naheliegend, dass man auch andere Geldgeber sucht», sagt Rektor Peter Stalder. Gerade für ausgewählte Projekte, die zeitlich beschränkt oder aussergewöhnlich seien und einen Mehrwert für die Jugendlichen darstellten, könne er sich ein solches Finanzierungsmodell vorstellen. Wichtig sei, dass die Schule den Unterrichtsinhalt selber gestalten könne: «Der Lead muss bei der Schule sein.»

Auch Politik gespalten

Die Meinungen sind auch in der Politik gemischt. Grossrat Samuel Leuenberger (BDP) erachtet es als richtig, «wenn ein Gymnasium den Mut hat, unternehmerisch aktiv zu werden - vorausgesetzt, dass es nicht abhängig wird und eine Firma keinen Einfluss nehmen kann». Der grüne Grossrat und Solarpionier Urs Muntwyler, Professor für Fotovoltaik an der Fachhochschule Bern, sitzt im Beirat der Mint-Klasse und begrüsst die Lösung: Mint sei wichtig, und mit Inäbnit habe das Gymnasium Lerbermatt einen sehr guten Gönner gefunden. Er könne sich gut vorstellen, selber Gönner des Projekts zu werden. «Langfristig hätte ich jedoch Vorbehalte - die Schulen dürfen nicht zum langen Arm der Unternehmen werden», sagt Muntwyler.

Kein Geld ohne Gegenleistung

Es sei «naiv» zu glauben, dass eine Firma Geld gebe, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, sagt hingegen Roland Näf, Grossrat und Präsident der SP Kanton Bern. «Das Interesse der Firmen im Mint-Bereich liegt bei der Rekrutierung von zukünftigen Fachkräften.» Unabhängigkeit beginne im Kopf: «Wenn wir eine Beziehung zu einer Firma aufbauen, bleibt diese in unserem Kopf.» Das beginne bereits bei einem Firmenbesuch. Der Kontakt von Schülern zu Firmen sei zwar sehr wichtig, «aber dieser darf auf keinen Fall im Zusammenhang mit einer Gönnerschaft stehen.» Für ihn ist deshalb klar: «Die öffentliche Schule muss zwingend öffentlich und vollkommen unabhängig bleiben.»

Zur Sache

«Dies ist ein Einzelfall»

Herr Battaglia, sind Sponsoring und Gönnerschaft an Gymnasien schulpolitisch vertretbar?

Für uns ist wichtig, dass es sich um ein Gönnertum handelt und nicht um ein Sponsoring - die finanzielle Unterstützung ist also nicht an Bedingungen geknüpft, und es wird keine Werbung für die Firma gemacht. Weitere Kriterien für unser O. K. waren folgende: Es handelt sich um eine lokal verankerte Firma, und der privat finanzierte Unterricht ist fakultativ. Für die Finanzierung des obligatorischen Unterrichts ist der Kanton zuständig.

Der Gönner sitzt immerhin im Beirat und bietet Praktikumsplätze an. Wie kann eine Einflussnahme verhindert werden?

Der Beirat ist nur ein beratendes Gremium, und Praktikumsplätze gibt es auch in anderen Betrieben. Man muss dies aber sicher sorgfältig beobachten.

Wird dieses Finanzierungsmodell in Sparzeiten zum Zukunftsmodell?

Nein, sicher nicht. Es handelt sich hier um eine spezielle Situation, weil es sich um ein Projekt handelt, das zum Teil auch durch den Kanton finanziert wird. Die Schule stand vor der Wahl: entweder Schüler abweisen oder den Gönnerbeitrag annehmen. Dies ist ein Einzelfall.

Die Schule plant jedoch, das Projekt auch längerfristig über Gönner zu finanzieren.

Ein Gönner zahlt nicht ewig. Falls das Projekt zum Normalbetrieb wird, muss die Schule die Kosten innerhalb des regulären Kostendachs bewältigen.

Das Mint-Projekt ist ein fakultatives Angebot. Wo liegen die Grenzen? Was geschähe, wenn ein Gymnasium zum Beispiel die in der Sparrunde gestrichenen Russischlektionen als fakultatives Angebot privat finanzieren liesse?

Das wäre sicher nicht möglich, da es sich dabei um obligatorischen Unterricht handelt. Die Schulen müssen grundsätzlich jede Gönnerschaft mit uns absprechen. Wir gehen jedoch nicht von einem Flächeneffekt aus.

Die Gymnasien kommen mit jeder Sparrunde stärker unter Druck. Werden sie private Geldgeber brauchen, um sich zu profilieren?

Wir gehen nicht davon aus, dass dies notwendig ist. Jedes Gymnasium kann schon heute Schwerpunkte setzen, um sich zu positionieren. Das Gymnasium Neufeld etwa hat die Sportklasse, im Kirchenfeld gibt es die zweisprachige Maturität. (Interview: mry)

Zur Person

Mario Battaglia ist Vorsteher der Abteilung Mittelschulen in der Erziehungsdirektion.

 

Dieser Artikel erschien am 30. November 2013 im "Bund"

Text: Manuela Ryter, textbüro manuskript, Bern

Roboter, Neuronen und ein Schweinehirn
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Am Gymnasium Köniz-Lerbermatt können sich seit Semesterbeginn zwei Mint-Klassen in den Naturwissenschaften austoben. Das neue Angebot soll die Nachfrage nach technischen Berufen steigern. Einiges deutet darauf hin, dass das gelingt.

Das Hirn ist bereits etwas geschrumpft. Das gelbliche Stück Fleisch schwappt im Alkohol hin und her. Es ist ein Teil des Grosshirns, auch ein Stück des Kleinhirns hängt noch dran. Der Rest dieses Schweinehirns wurde von den Schülerinnen und Schülern der Mint-Klasse am Gymnasium Köniz-Lerbermatt abgetrennt und liegt nun in kleine Stücke geschnitten in flüssigem Paraffin im Wärmeschrank. Biologielehrer Peter Nyffeler erklärt seinen Schülern, weshalb es zur Weiterverarbeitung ihrer Präparate keine Wasserresten in den Hirnstücken haben darf. Und ermahnt sie: «Sie sollen nicht nur lernen, wie die Forscher Präparate machen, sondern auch, warum sie es so machen.»

Projekt mit politischem Ziel

Mint steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Es sind ebendiese Fächer, mit denen sich viele Schülerinnen und Gymnasiasten schwertun. Es sind jene Fächer, die den Ruf haben, trocken, theoretisch und kompliziert zu sein, und in denen es in der Wirtschaft an Fachkräften und vor allem an Nachwuchs mangelt. Besonders Frauen sind in diesen Bereichen nur wenige zu finden. Um diesem Trend entgegenzuwirken, hat der Kanton Bern im vergangenen Jahr ein Projekt zur Förderung der Mint-Berufe lanciert. Unter anderem finanziert er auch eine der zwei neuen Mint-Klassen in Köniz - die ersten in der Schweiz -, die nun während der gesamten gymnasialen Ausbildung in zwei zusätzlichen Lektionen pro Woche in die Welt der Technik und der Naturwissenschaften abtauchen werden.

Hirn in allen Varianten

Es ist acht Uhr morgens, doch die sieben Schülerinnen und zehn Schüler gehen mit voller Konzentration an die Arbeit: Heute werden sie die kleinen Hirnstücke, die sie in einem langen Prozess entwässert haben, in Paraffinblöcken konservieren - um sie später gemeinsam mit den Profis am Naturhistorischen Museum sowie am Anatomischen Institut der Universität Bern in ultradünne Plättchen zu schneiden. Danach werden sie die Zellen und Strukturen der verschiedenen Hirnteile unter dem Mikroskop erforschen und miteinander vergleichen. «Wir können ins Hirn dieses Schweins hineinsehen und dann vielleicht auch verstehen, wie das menschliche Hirn aufgebaut ist und wie es funktioniert», sagt Etienne Hofstetter (17). Er sagt es nicht ohne Stolz, denn: «Wer hat schon die Möglichkeit, ein Hirn zu sezieren?»

«Think Mint - Denken in Netzwerken» ist das Thema des ersten Mint-Jahres - das Hirn ist der rote Faden der Lektionen. Vor den Herbstferien bauten die Schülerinnen und Schüler mit der Physiklehrerin einen Roboter aus speziellen Lego-Steinen und programmierten ihn. Dies sei eine Spielerei, aber auch eine Herausforderung gewesen, sagt Mario Trachsel (16): «Die Roboter mussten am Schluss durch ein Labyrinth gesteuert werden.» Man habe getüftelt und ausprobiert, bis die künstliche Intelligenz hergestellt war und funktionierte. Zeit zu haben zum Forschen und für viel Praxis statt Theorie, das sei das Tolle an Mint, sagt er. Seine Mitschüler nicken.

Vernetzung ist alles

Praktisch arbeiten die Jugendlichen jedoch nicht nur am Gymnasium. In der Sekunda, dem zweitletzten Jahr am Gymnasium, werden sie beispielsweise an der ETH Lausanne eine Woche lang in verschiedenen Bereichen arbeiten.

Nach der Robotik folgt die Anatomie. Und im Winter wird die Klasse ein Neuronennetzwerk konstruieren und der Reizverarbeitung des Gehirns auf die Spur gehen. «Mint verbindet Physik, Biologie, Chemie und Informatik miteinander - das macht das Projekt so spannend», sagt Etienne Hofstetter. Genau um diese Vernetzung gehe es, sagt Biologielehrer Nyffeler. «Die Schüler sollen lernen, in vernetzten Strukturen zu denken.» Vernetzung geschieht auch innerhalb der Klasse: Die Mint-Schüler haben im Gegensatz zu anderen Klassen verschiedene Schwerpunktfächer, von Musik bis Wirtschaft. «Da kommen verschiedene Denkweisen zusammen», sagt Seraina Bartetzko (16).

Mehr lernen dank Erlebnis

Sie macht sich nun mit ihrer Gruppe daran, «ihr» Hirnstück zu präparieren. Mit ruhiger Hand platzieren die jungen Frauen Winkel auf Glasscheiben, füllen die Öffnungen mit flüssigem Paraffin. Sie müssen den richtigen Moment erwischen, um das gelbe Stück Fleisch in die erkaltende Flüssigkeit zu geben. «Es ist extrem spannend, dass wir diesen Einblick erhalten», sagt Lea Hiller (15), «über das Hirn ist noch lange nicht alles erforscht, und es ist unvorstellbar, was es alles leistet.» Dieses Schweinehirn sei gar im Schweinekopf geliefert worden, «so konnten wir sehen, wie das Hirn im Kopf eingebettet ist». Als sie es rausgenommen hätten, sei es fast auseinandergefallen - das Hirn bestehe ja nur aus einem einzigen Strang.

Die jungen Frauen erzählen voller Begeisterung. Sie sind stolz, dass sie lernen dürfen, was sonst nur in Forschungslabors und Universitäten gemacht wird. «Es ist einfach der Wahnsinn, dass wir im ersten Gymerjahr die Möglichkeit haben, mit Profis von der Uni zusammenzuarbeiten», sagt Lea Hiller. Gerade für sie, die später Veterinärmedizin studieren will - das sei seit je klar -, sei dies von grosser Bedeutung.

Der Biolehrer ist zuversichtlich

Ob das politische Ziel, dass sich mehr Maturanden und vor allem Maturandinnen für ein naturwissenschaftliches Studium entscheiden, erreicht wird, ist offen. Die Wahrscheinlichkeit sei jedoch gross, sagt Biologielehrer Nyffeler. Denn: «Ausgerechnet im letzten Jahr, wenn es auf die Matura zugeht und die Studienwahl ein Thema wird, werden nach Lehrplan ausser Mathematik keine naturwissenschaftlichen Fächer unterrichtet. Dabei wären die Schüler dann geistig so weit, auch kompliziertere Sachen zu machen.» Die Mint-Klasse ermögliche nun ein Kontinuum, und man werde diese Schüler nach dem Gymnasium «motiviert in die Welt katapultieren». Das Praktische sowie die Zusammenarbeit mit den Hochschulen und Unternehmen machten die technischen Berufe fassbarer, sagen die Schüler: «Man kann konkreter an ein Studium oder einen Beruf herangehen, wenn man bereits einen Einblick hatte», so Mario Trachsel. Dies werde die Studienwahl erleichtern.

Mint-Klasse

Für 2014 schon 60 Anmeldungen

Von wegen Technikflaute - die Mint-Klasse ist ein voller Erfolg: Bereits im ersten Jahr meldeten sich mehr Schüler an als erwartet, weshalb mit zwei statt einer Klasse gestartet wurde. Das grosse Interesse zeige, dass die Gymnasien trotz vollem Lehrplan mehr Freiraum schaffen müssten für mehr Praxis und «fürs Forschen und Tüfteln», sagt Projektleiterin und Konrektorin Gabriele Leuenberger. Dies fördere die Kompetenzen sowie die Selbstständigkeit und die Vernetzung der Schüler. «Wir müssen die Gymnasien modernisieren und sie öffnen und vernetzen.» Wie viele Mint-Klassen ins Schuljahr 2014/15 starten werden, ist noch unklar - es haben sich bereits 60 angehende Gymnasiasten angemeldet. «Wir wissen noch nicht, wie wir mit diesem Ansturm umgehen werden», sagt Leuenberger. Man werde auf jeden Fall eine Lösung finden, denn das Gymnasium wolle nicht schon im zweiten Jahr Schüler abweisen. Umso weniger, als das Projekt eines der Ziele erreicht habe: Die Mint-Klasse begeistert auch junge Frauen. Im nächsten Jahr wird voraussichtlich fast die Hälfte der Teilnehmenden weiblich sein. (mry)

 

Dieser Artikel erschien am 13. November 2013 im "Bund".

Text: Manuela Ryter, textbüro manuskript, bern

Im Tempo der Seele
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Als Familie mit dem Fahrrad durch den Süden Neuseelands – ein unvergesslich schönes Erlebnis

 

Neuseelands Südinsel ist einsam und abwechslungsreich. Wer hier mit dem Velo unterwegs ist, lernt Landschaft in ihrer ursprünglichen Form kennen – unverbaut, wild und unverhältnismässig schön.

Unwirklich und eine Spur zu leuchtend ist das Türkis des Lake Tekapo. Übertrieben die von Lupinen übersäte Weite, ein violettes Meer, das den Gletschersee umarmt. Viel zu blau der Himmel über den perfekt gepuderten Schneebergen am Horizont. Pathetisch und von gestochener Schärfe wie einer dieser modernen Animationsfilme in 3-D. Wir steigen aus dem kleinen Reisebus, schultern unsere zwei Kinder (eineinhalb- und knapp vierjährig) und laden unser Gepäck aus, das fast den gesamten Anhänger füllt: zwei Fahrräder, zwölf Taschen, ein Kinderanhänger. Dann schauen wir uns erst einmal um, blinzeln in die Sonne wie Häftlinge, denen gerade die Flucht gelungen ist. Überwältigt und unsicher, ob dies alles wirklich wahr ist.

Hier, an diesem unverschämt schönen Flecken Erde im Herzen von Neuseelands Südinsel, beladen wir unsere Fahrräder, setzen die Buben in den Chariot, montieren die beiden Fähnlein und fahren los. Hinaus in die Freiheit, hinein in die Natur, die uns in ihrer ursprünglichen Schönheit empfängt. Einige japanische Touristen blicken uns ungläubig hinterher.

Der Weg als Highlight

Drei Monate lang werden wir unterwegs sein, ohne Zeitplan und ohne Route, dafür mit Zelt, einer Ladung Windeln und genügend Proviant. Es ist Anfang Dezember, und der Sommer ist für Neuseeland ungewohnt mutig im Anmarsch. Noch schrecken wir bei jedem Auto, das uns überholt, auf. Viel Verkehr hat es nicht auf den meisten Strassen der Südinsel. Aber die Kiwis, wie sich die Neuseeländer liebevoll nennen, fahren schnell und sind Velofahrer nicht gewohnt. Sie bewegen sich lieber im Offroader als auf unmotorisierten Zweirädern.

Dabei hat die Südinsel dem Langsamreisenden viel zu bieten. Landschaften, die so schön sind, dass sie in Europa längst zugebaut wären, warten einsam auf Besucher. Hier ist der Weg das Highlight. Vielleicht ist dies der Grund, dass Rucksacktouristen und Reisende im Wohnmobil die Nordinsel mit ihren Vulkanen, Geysiren und Badestränden viel spektakulärer finden als die einsame, wilde Südinsel. Wer jedoch nicht nur auf der Jagd nach Sehenswürdigkeiten ist und sich fernab der Zivilisation wohl fühlt, ist im Süden glücklich.

Wir fahren durch die Berglandschaft, dem Mount Cook, mit seinen 3754 Metern der höchste Berg Neuseelands, entgegen. Wir beobachten, wie auf der «Mt Cook Alpine Salmon»-Farm Lachs heranwächst, und entdecken am Ende des schnurgeraden Lake-Tekapo-Kanals den neu erstellten «Alps 2 Ocean Cycle Trail». Der Radweg wird uns in den folgenden Tagen über zum Teil abenteuerliche Mountainbike-Strecken – es sind jene Teilstücke, die erst auf der Karte existieren – bis nach Oamaru ans Meer führen. Wir sind langsam unterwegs, und so suchen wir in der Natur einen geschützten Platz für unser Zelt. Als wir am Morgen am Ufer des Lake Pukaki erwachen, blicken wir ins Blaue – nur die weisse Bergkette der Southern Alps unterstreicht den Horizont zwischen Wasser und Himmel. So schön hätten wir uns Neuseeland nie zu erträumen gewagt.

Am Lake Ohau beenden wir die anstrengende Fahrt dem Kanal entlang. Kühl ist das Bad, befreiend die totale Einsamkeit. In Omarama stellen wir unser Zelt im Garten eines stämmigen neuseeländischen Ehepaars auf. Die Buben schlafen, während uns in der Stube zu einem Rotwein Geschichten und Fotos von Jagd- und anderen Abenteuern aufgetischt werden. In der Schlucht bei Ngapara schlagen wir die Heringe hoch oben auf einer leeren Kuhweide ein. Leicht beunruhigt darüber, ob nicht doch irgendwo hinter einer Kuppe ein Stier sein könnte, geniessen wir die Aussicht über die von Felsen durchzogene Gegend. An Heiligabend erreichen wir das Meer.

Das Velofahren wird zu unserem Alltag, die Natur zu unserem Zuhause. Wenn wir auf den einsamen Strassen dem Horizont entgegenfahren, entlang von Gletscherseen, durch bizarre Felslandschaften und über sanfte Hügel, werden wir euphorisch. Der steilste Berg wird überwindbar, der stärkste Gegenwind erträglich. Unsere Buben, schmutzig und mit verstrubbelten Haaren, beginnen sich in der freien Natur wohl zu fühlen. Kinder lieben Abenteuer. Und sie lieben Freiheit. Aber auch unser Blick wird offen, unser Kopf frei. Der Stress unseres Schweizer Alltags blättert ab wie alte Farbe.

Wir fahren von Oamaru der Ostküste entlang südwärts. Wir sind langsam unterwegs – im Durchschnitt fahren wir gut 40 Kilometer pro Tag. Den Rhythmus geben die Kinder vor. Und die Arbeiten, die Velofahren und Zelten mit sich bringen. Es dauert immer ewig, bis wir morgens wegkommen, bis die Velos bepackt, die Kinder gewickelt, gefüttert und eingecremt sind. Wer mit Kindern unterwegs ist, darf sich nicht zu viel vornehmen. Wir sind gezwungen, den Tag langsam anzugehen, möglichst keine Pläne zu schmieden und Ziele spontan zu ändern. Und wenn eine Nebenstrasse in einen mörderischen Highway mündet oder ein steiler Pass vor uns liegt, nehmen wir eben den Bus.

Abwechslungsreiche Strecke

Mit Rückenwind fliegen wir regelrecht durch die stürmischen Catlins ganz im Süden, wo Delphine in den Buchten auf Surfer warten, Pinguine die Zeltplätze bevölkern und Seelöwen die harschen Strände kontrollieren. Wo der Urwald die Nichtigkeit der Menschen demonstriert und Wind und Meer die Wucht der Natur unterstreichen. Wir kämpfen uns 150 Kilometer weit auf einer ehemaligen Zugstrecke – heute ist sie ein holpriger Veloweg – durch die kargen Weiten des Central Otago ins Landesinnere, bis nach Wanaka, das sich Schweiz von Neuseeland nennt.

Und wir fahren bei bestem Wetter die sonst so regenreiche Westküste empor, wo sich die nur wenig befahrene Strasse spektakulär zwischen Regenwald und den menschenleeren Sandstränden entlang der Tasmanischen See hindurch zwängt, bis sie in Kohaihai im Nichts endet.

Im Abel Tasman bei Nelson erwarten uns nach fast 1500 gefahrenen Kilometern goldene Badestrände, doch das Paradies, das wir wie Hunderte andere in einem kleinen Boot erreichen, erscheint uns nach drei Monaten im Sattel geradezu langweilig; die Touristen erschrecken uns. Uns wird klar: Wer reist, der sieht die Welt; wer mit dem Fahrrad reist, erlebt sie. Oder wie es ein von unserer Reise unendlich beeindruckter Schweizer Motorradfahrer auf einem Rastplatz an der Westküste nicht ohne Neid in der Stimme formulierte: Beim Fahrradfahren hat man exakt die richtige Geschwindigkeit, damit auch die Seele mitkommt. Wie wahr. Wie unglaublich wahr.

 

Diese Reisereportage erschien am 8. November 2013 in der NZZ

Text: Manuela Ryter, textbüro manuskript bern

Ein Radar für den Vogelschutz
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Windkraft hat Aufwind. Doch für Vögel und Fledermäuse sind die Rotoren oft tödlich. Vogelschützer und Windkraftbetreiber wollen nun auf Technik setzen: Der Radar einer Berner Firma soll die Anlagen abstellen, sobald Zugvögel vorbeiziehen.

Das Prinzip ist einfach: Nähern sich einem Windpark Zugvögel in Schwärmen, werden diese vom Vogelradar erkannt. Erreicht die Vogeldichte einen gewissen Schwellenwert, stellen automatisch alle Turbinen ab. Die Rotoren stehen mehrere Stunden still, bis der Vogelzug vorüber ist. Jeden Herbst und jeden Frühling, bis die vielen Millionen Zugvögel die Schweiz Richtung Süden durchquert haben.

Der Vogelradar soll so Hunderte Zugvögel, aber auch Fledermäuse vor dem Tod bewahren. Wie viele Vögel genau mit den Rotoren der Windturbinen kollidieren, ist nicht bekannt – noch fehlen verlässliche Studien. «Doch das Problem ist zweifellos da», sagt Matthias Kestenholz von der Vogelwarte Sempach, denn die meisten Zugvögel flögen just auf der Höhe der bis zu 120 Meter hohen Turbinen, deren drehende Rotoren sie nicht richtig einschätzen oder in der Nacht übersehen. Und ausgerechnet dort, wo die Zugvögel je nach Wind und Jahreszeit zahlreich fliegen, sind auch die besten Windverhältnisse für die Windenergie: den Juraketten und dem Alpennordhang entlang. Konflikte seien also unvermeidlich, so Kestenholz.

Denn die Windenergie ist im Kommen. Der Bund hat ihr in seiner Energiestrategie viel Gewicht gegeben. Hunderte Projekte werden momentan aufgegleist und die Kantone suchen beflissen nach idealen Standorten für neue Windturbinen. Doch fast alle Projekte kommen mit dem Vogelschutz in Konflikt, viele stehen still, weil Einsprachen von Seiten der Umweltverbände und des Vogelschutzes hängig sind. Und das, obwohl diese die Windkraft im Grundsatz befürworten. Denn auch für die Vogelarten ist der Klimawandel eine der grössten Gefahren – und erneuerbare Energien daher mehr als erstrebenswert. Es wird deshalb auf allen Seiten nach Lösungen gesucht.

«Verkraftbare Investition»

An Lösungen sind auch die künftigen Betreiber von Windparks interessiert, denn mit jeder Einsprache weniger erhält ein Projekt mehr Chancen. So entstand auch der Vogelradar aus der Not heraus. «Als fixe Abschaltzeiten der Turbinen während des Vogelzugs gefordert wurden, suchten wir nach einer Lösung», sagt Urs Seiffert, der als Geschäftsführer der Firma Considerate AG in Köniz auch Windparks entwickelt. Er gründete die Firma Swiss Birdradar Solution AG und entwickelte zusammen mit der Vogelwarte, die seit Jahrzehnten Radare der Schweizer Armee einsetzt, um Zugvögel zu erforschen, den Radar Birdscan. Es gebe Standorte, die den vom Bund festgelegten Grenzwert getöteter Vögel ohne Massnahmen nicht überschreiten. «Die anderen müssen die Anlagen während des Vogelzugs abstellen. Ganz oder dank des Radars nur stundenweise.» Ein Grossteil des Vogelschlags könne so verhindert werden.

Fest eingeplant ist der neue Vogelradar, der ab 2014 verkauft wird, bei der geplanten Anlage auf dem solothurnischen Grenchenberg. «Unser Ziel ist es, möglichst wenig Schäden zu verursachen», sagt Per Just, Geschäftsführer der SWG. Dank dem Radar könne man mit einer verkraftbaren Investition ein potenzielles Umweltproblem lösen – und erst noch davon profitieren, da man so die Abschaltzeiten verkürzen könne. Die Investitionskosten von rund 350 000 Franken würden also rasch amortisiert werden.

Radar löst nicht alle Probleme

Dass der Radar die Akzeptanz der Windenergie erhöhen wird, hofft auch Reto Rigassi von Suisse Eole, dem Verband zur Förderung der Windenergie. Eine solche Massnahme sei jedoch nur an Standorten mit sehr intensivem Vogel-zug verhältnismässig, sagt er. «Laut unserer Einschätzung sind Windparks keine grosse Gefahr für Zugvögel.» Doch man sei bereit, die Befürchtungen ernst zu nehmen. «Wir wollen als Teil der Lösung wahrgenommen werden und nicht als Gegner des Naturschutzes.»

So oder so wird der Radar nicht alle Probleme lösen. Denn nicht nur Zugvögel, sondern auch heimische Vögel wie Störche, Adler oder Milane kollidieren mit den Windturbinen. Um die Standortsuche zu erleichtern, hat die Vogelwarte im Auftrag des Bafu Konfliktpotenzialkarten erarbeitet. Auch die Beeinträchtigung der Lebensräume in zuvor nicht erschlossenen Gebieten macht den Vogelschützern Sorgen. Dies bekam auch das Projekt Schwyberg im Kanton Freiburg zu spüren: Unter anderem wegen der dort ansässigen Birkhühner liegt das Windenergieprojekt auf Eis. Und eine Lösung ist hier nicht in Sicht. 

 

3 FRAGEN AN

Markus Geissmann, Leiter Windenergie beim Bundesamt für Energie (BFE)

Windenergie ist im Aufwind, stösst jedoch auf Widerstand. Wie grün ist die grüne Energie wirklich?

Sie ist vom Material- und Landverbrauch her sehr grün. Kritik ist nur in zwei Bereichen angebracht: der Landschaftswirkung und dem Vogelschutz. Ersteres sollte eigentlich kein Thema sein, denn mit Windkraft wird langfristig nichts verbaut. Den Vogelschutz hingegen müssen wir ernst nehmen und ihn richtig angehen. Er darf aber auch nicht instrumentalisiert werden.

Bringt der Vogelschutz die Energiewende in Gefahr?

Diese Aussage ist zu plakativ, denn es gibt noch viele andere Faktoren – neben dem Landschaftsschutz und der Akzeptanz in der Bevölkerung etwa die Verträglichkeit mit der Zivilluftfahrt oder dem Militär. Doch der Vogelschutz ist ein Problem: Jedes Projekt, das momentan in Planung ist, kommt mit den Vögeln in Konflikt. Sei das, weil ein Standort laut Konfliktpotenzialkarte der Vogelwarte Sempach in einem Konfliktgebiet liegt oder weil ein Anwohner behauptet, in der Nähe gebe es Turmfalken.

Dann wird das Thema Vogelschutz überbewertet?

Was die Zugvögel angeht: ja. Wir sind der Meinung, dass die Windenergieanlagen einen vernachlässigbaren Effekt auf diese Vögel haben. Bei den Brutvögeln haben wir einen starken Zielkonflikt. Hier müssen Massnahmen ergriffen werden. Einen Kompromiss wird es aber geben müssen, denn wir brauchen die Windenergie, wenn wir die Atomkraftwerke ersetzen wollen. Wichtig ist, dass Studien gemacht werden, damit wir endlich wissen, welche Auswirkungen die Windenergie tatsächlich auf die Vögel hat. Das ist ein Risiko für die Windkraft, doch dieser Weg kann auch eine Chance sein.

 Info:

Windkraft als tragender Pfeiler der Energiewende

Heute werden in der Schweiz mit 33 Windturbinen jährlich rund 92 Gigawattstunden (GWh) Energie produziert – fast die Hälfte davon auf dem Mont-Crosin im Berner Jura. Laut Energiestrategie des Bundes sollen es bis 2050 rund 4000 GWh sein, was der Leistung von 800 Turbinen entspricht. Weil der Stromverbrauch weiter zunehmen wird und die Kernenergie wegfällt, braucht es bis 2050 Ersatz für 22 000 GWh Strom. Dieser soll aus einheimischer, erneuerbarer Energie bestehen, 20 Prozent davon aus Windenergie. Zurzeit sind Projekte für über 400 Windturbinen bei der Kostendeckenden Einspeisevergütung KEV, die Windkraft national fördert, angemeldet. 

 

 

Diese Themenseite erschien am 22. Oktober in der BZ-/Bund-Beilage "Erneuerbare Energie".

Text: Manuela Ryter, textbüro manuskript, bern

 

 

 

Bienen und Honigwein statt Büro, Bits und Bytes
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Er suchte nach seiner Berufung und fand sie im Bienenwein. Nun führt Alexander Eckert in Innerberg eine Met-Siederei.

 

Fünf glänzend polierte 290-Liter-Edelstahlfässer stehen in Alexander Eckerts Met-Siederei. In ihnen setzte Eckert vor sieben Wochen seinen Honigwein an, mit Quellwasser, Honig, Thymian, Rosmarin und Hefe. Nun hat der Wein aufgehört zu gären und zu blubbern. Eckert hebt sorgfältig den Deckel von einem Fass. Süss ist der Duft, der den Raum sogleich erfüllt. Zwei Jahre lang habe er an diesem Rezept getüftelt, sagt er. Bis der Met eines Tages perfekt war: «Mein Met soll nach Honig riechen, an Grapefruit erinnern und von einer leichten Toastnote abgerundet werden.» Er riecht am Wein im Fass und ist zufrieden. Der goldene Wein wird nun pasteurisiert, im Fass gelagert, damit sich Trubstoffe absetzen, und abgefüllt. Um dann, nach sechs Monaten und viel Akquisitionsarbeit, verkauft zu werden, in Flaschen mit edler Etikette.

So fangen sie meist an, die Geschichten erfolgreicher Unternehmer, die auf ihre Karrieren zurückblicken. So einfach, so verklärt. Ob Alexander Eckert in 20 Jahren seine Vision, in einer alten Bierbrauerei die erste grosse Met-Siederei der Schweiz zu führen, leben oder ob er den Traum längst wieder begraben haben wird, weiss er heute nicht. Noch braut der 37-Jährige seinen Met im kleinen Zimmer zwischen Küche und Bad dieses umgebauten Innerberger Bauernhauses. Noch steht er am Anfang. Und doch ist er bereits angekommen. Denn er hat es gewagt, aus seinem Alltag auszubrechen und sein Glück zu suchen, statt darauf zu warten, dass es ihn findet.

Flucht aus der Bürowelt

2010 sass Eckert noch täglich im Büro und sorgte dafür, dass die PCs der Berner Stadtverwaltung richtig programmiert waren. «Eigentlich waren die Bits und Bytes meine Welt», sagt der Softwareentwickler, der vor acht Jahren von Stuttgart nach Bern gekommen ist. Die Virtualität und die Vergänglichkeit seiner Arbeit hätten ihm aber zugesetzt. «Ich lebte in einer Kunstwelt, die mit der Natur nichts mehr zu tun hatte.» Er habe immer mehr das Gefühl gehabt, «dass da noch mehr in mir drin ist». So suchte er nach seiner wahren Berufung. Was ihm dabei half: Er besuchte Menschen, die «es schaffen, ihr Herz mit der Arbeit zu verbinden», etwa einen Kunstschmied und einen Sattler im Emmental. Bis er merkte, dass er seine Berufung schon gefunden hatte: in seinem Hobby, der Met-Siederei. Es war so weit: Eckert hängte seinen Job im Büro an den Nagel.

Met als Bienenprojekt

Damals, vor drei Jahren, produzierte Eckert den Honigwein noch in 20-Liter-Fässern für sich und seine Freunde. «An einem Weihnachtsmarkt in Stuttgart hatte ich Jahre zuvor erstmals Met probiert. Ich war fasziniert, dass man aus Honig Alkohol machen kann.» Er durchforstete das Internet und begann zu experimentieren.

Der Met brachte ihn zu den Bienen und die Bienen zur Natur, die er im Job vermisst hatte. Eckert entschloss sich, seinen Met aus eigenem Honig zu machen. Er liess sich zum Imker diplomieren und begann Honig der Dunklen Biene, der Apis mellifera mellifera, zu produzieren. Diese «ursprünglichen Bienen Europas» sind schwarz, ihr Bestand gilt als gefährdet. «Das Bewusstsein, dass es den Bienen so schlecht geht, weckte etwas in mir», sagt Eckert. Seine Met-Siederei ist für Eckert daher auch ein Bienenprojekt – auch wenn sein Honig bei weitem nicht mehr für die 400 Liter Met reicht, die er jeden Monat produziert. Doch mit jeder verkauften Flasche fliesst ein Beitrag an seine Bienen. «Ich will, dass die Bienen wieder wertgeschätzt werden und der Met in der Schweiz wiederentdeckt wird.»

Met stand im Mittelalter auf jedem Tisch – und wurde dann vom Wein verdrängt. Heute wird er fast nur noch an Mittelaltermärkten und Burgfesten getrunken. Und zwar warm, wie im Mittelalter. Bei Eckert steht der süsse Honigwein eisgekühlt im edlen Weinglas auf dem Tisch – zu Shortbread oder Apfelringen. «Er eignet sich auch bestens für den Aperitif, zu rezentem Käse oder Bündnerfleisch», sagt er stolz. Da der süsse Wein vor allem bei Frauen ankam, entschloss er sich, eine Sorte zu kreieren, die auch Männern mundet. Herausgekommen ist ein herber und weniger süsser Met, der auch zu Wild oder Fondue serviert werden kann.

Freiheit, etwas Sinnvolles zu tun

Zwar spüre er den wirtschaftlichen Druck, sagt Eckert. Doch dank dem intensiven Kontakt zur Natur spüre er sich selbst wieder. Und er fühle sich zufrieden und frei. Freiheit bedeute für ihn, etwas Sinnvolles zu tun. Etwas Wertvolles und Schönes zu schaffen. Etwas, das nachhaltig sei. Wie der Geschmack seines Met, der lange auf der Zunge haften bleibt.

 

Dieser Beitrag erschien am 26.9.2013 im "Bund". 

Text: Manuela Ryter, textbüro manuskript bern

 

«Konsequent wären gar keine Noten»
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Kaum publik, fliesst der Lehrplan 21 auch schon in die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer ein. Laut Rektor Martin Schäfer von der PH Bern dürfte künftig die Benotung der Schüler noch zu reden geben.

Martin Schäfer, heute beginnt das neue Semester an der PH Bern: Als erste PH der Schweiz werden Sie die angehenden Lehrerinnen und Lehrer nach dem Lehrplan 21 ausbilden. Vieles ist jedoch noch nicht ausgereift. Ist es nicht zu früh?

Nein. Wir müssen jetzt anfangen, denn die mehr als 400 angehenden Lehrerinnen und Lehrer, die heute ihre Ausbildung an der PH Bern in Angriff nehmen, werden diese 2016 bis 2018 abschliessen - genau dann, wenn der Lehrplan 21 im Kanton Bern eingeführt werden soll.

Der neue Lehrplan soll die Bildungsziele der Schulen in den 21 Deutschschweizer Kantonen harmonisieren. Wird er dieses Ziel erreichen?

Das hängt davon ab, was nun in den Kantonen passiert - ob sich dort der Geist, etwas Gemeinsames zu entwickeln, durchsetzt oder die lokal über Jahre eingeschliffenen Haltungen wie «Wir haben es bisher so gemacht, also machen wir es auch weiterhin so».

Dann stehen die Chancen schlecht? Im Bildungswesen ist der Föderalismus ja bekanntlich sehr stark.

Ich erwarte, dass es viele kantonale Anpassungen geben wird, und sehe daher ein Risiko, dass das Gemeinsame abgeschwächt wird. Das wäre schade, denn der jetzige Lehrplan 21 wäre eigentlich eine gute Basis für die Harmonisierung.

Erziehungsdirektor Bernhard Pulver beschrieb den Lehrplan 21 nicht als Reform von oben, sondern als Weiterentwicklung der Schule von unten. Was heisst das für die PH?

Der Lehrplan 21 wird insbesondere den Unterricht beeinflussen. Er wird aber auch ein Anlass sein, die Schule als Ganzes zu entwickeln. Für die fächerübergreifenden Themen etwa werden die Lehrkräfte stärker zusammenarbeiten müssen. Als Hochschule müssen wir dies den Studierenden aufzeigen.

Bisher schrieben Lehrpläne vor, was eine Lehrerin im Unterricht durchnehmen muss. Nun legt der Lehrplan 21 fest, was ein Schüler nach der 2., 6., 9. Klasse wissen und können muss. Wie werden Sie die Lehrkräfte auf diese sogenannte Kompetenzorientierung vorbereiten?

Indem wir das Grundkonzept des neuen Lehrplans auch für die PH übernehmen. Wir haben die Studiengänge dafür komplett neu entwickelt.

Was haben Sie geändert?

Vieles. Erstens werden wir vom heutigen Tag an der PH noch stärker kompetenzorientiert lehren. Wie die Schulkinder stehen auch unsere Studierenden alle an einem anderen Ort, jede und jeder Einzelne bringt ein anderes Wissen mit - das Studium soll diesen individuellen Wegen Rechnung tragen. Was am Schluss zählt, sind die Kompetenzen, die eine Lehrperson haben muss, nicht der Weg dorthin. Zweitens setzen wir uns - wie künftig die Schulen - mit den überfachlichen Kompetenzen und drittens mit den fächerübergreifenden Themen auseinander. So werden wir etwa die Medienbildung in die Lehre integrieren, wie es künftig an den Schulen vorgesehen ist. Viertens haben wir die Fachbereiche angepasst. Was zum Beispiel auf der Sekundarstufe I bisher als Biologie, Physik und Chemie unterrichtet wurde, heisst Natur und Technik. Die künftigen Lehrkräfte dieser Stufe werden breiter ausgebildet: Bisher absolvierten sie drei Disziplinen, neu vier bis sieben. Ein guter Schritt.

Dann ist die PH gewissermassen ein Lehrplan 21-Versuchskaninchen?

Wir streben konkrete Kompetenzen unserer Absolventinnen und Absolventen an. Doch schaffen wir es auch, diese zu überprüfen? Wenn nicht - wie können wir dies dann von den Schulen erwarten? Längere Praktika sind dazu gut geeignet, doch in der Lehre sind wir noch am Suchen. Dies wird auch für Schulen ein wichtiges Thema sein.

Heisst das, es ist noch unklar, wie Schüler in Zukunft benotet werden?

Ja, diese Frage wird noch zu diskutieren geben. Kompetenzen können nicht ausschliesslich wie Wissen abgefragt und beurteilt werden. Auch wenn heute wieder eine Tendenz zu mehr Noten spürbar ist, wird die Diskussion über die Funktion und Rolle von Noten durch den Lehrplan 21 sicher wieder neu aufgeworfen. Da wird man hoffentlich über die Kantonsgrenzen hinweg nach Lösungen suchen.

Würden Sie die Abschaffung der Noten begrüssen?

Diese Lösung wäre sicher die konsequenteste Umsetzung der Kompetenzorientierung. Aber das würde im Moment kaum auf eine breite Akzeptanz stossen. Ich habe selbst zehn Jahre lang an einer öffentlichen Schule ohne Noten unterrichtet. Für die Schülerinnen und Schüler hatte dieses System keine Nachteile, aber für uns Lehrpersonen war es anspruchsvoller, die Leistungen der Schüler den Eltern zu kommunizieren.

Laut Erziehungsdirektor Pulver gibt es mit dem Lehrplan 21 keine grossen Änderungen im Kanton Bern. Ist der Schritt zur Kompetenzorientierung nicht ein Paradigmenwechsel?

Ich würde nicht von einem Paradigmenwechsel sprechen - der Lehrplan 21 ist eher eine Evolution denn eine Revolution. Denn bereits der Lehrplan 95 enthält Kompetenzziele. Der neue Lehrplan ist da eine Erweiterung.

Gerade was die integrierte Medienbildung angeht, gibt es noch viele Fragezeichen. Und doch wird es gerade in diesem Bereich am meisten Aus- und Weiterbildung brauchen. Ist die PH parat?

Wir werden in der Aus- und Weiterbildung jene Dozierenden mit Medienwissen mit solchen aus andern Fachbereichen zusammenarbeiten lassen. Sie müssen gemeinsam ausarbeiten, was jeder in seinem Fach realisieren kann. Auch in den Schulen sollte jede Lehrperson ihren Anteil leisten können. Ein ganz natürlicher Umgang mit neuen Medien wird in Zukunft dazugehören. Und zwar in jedem Fach. Man darf diese Themen nicht nur Fachleuten überlassen.

Mit dem geplanten Bildungsmonitoring, einer Art Schweizer Pisa-Studie, werden es die Lehrer künftig jedoch schwarz auf weiss haben, wie effizient ihr Unterricht war.

Das ist so. Druck wird jedoch nur entstehen, wenn die Tests nicht richtig aufgebaut sind. Falls nur Wissen abgefragt wird, werden die Lehrpersonen nur noch darauf fokussieren. Sie werden auf Wissensbestände hinarbeiten statt auf Kompetenzen. Das muss verhindert werden.

Lehrplan 21 Mehr Kompetenz

Der Lehrplan 21 soll die Bildungsziele in den 21 Deutschschweizer Kantonen harmonisieren. Die erste Fassung ist in der Vernehmlassung. Die wichtigste Neuerung ist die Kompetenzorientierung. Ausserdem sieht er neben den Fachbereichen, die an die traditionellen Fächer knüpfen, überfachliche Kompetenzen (Eigenständigkeit, Selbstreflexion, Konfliktfähigkeit) und fächerübergreifende Themen wie berufliche Orientierung, Medienbildung und nachhaltige Entwicklung vor. Letztere sollen im Rahmen der anderen Fächer in den Unterricht einfliessen. 20 Prozent der Lektionen können die Kantone selbst gestalten. Mit dem Bildungsmonitoring, einer Art Pisa-Test, werden ab 2016 die Leistungen der Schüler stichprobenartig abgefragt. (mry)

Dieser Artikel erschien am 16. September 2013 im "Bund".

Text: Manuela Ryter, textbüro manuskript, bern

«Mein Velo repariere ich jedenfalls selber»
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Seraina Bartetzko: Die 16-jährige Bolligerin mag Technik - sie besucht nun die erste Mint-Klasse des Gymnasiums Köniz-Lerbermatt.

Sprachen sind nicht ihr Ding. Wenn Seraina Bartetzko Franz-Wörtchen lernen muss, behilft sie sich mit Bildern. Die 16-jährige Schülerin, die vergangene Woche in Köniz mit dem Gymnasium begonnen hat, weiss, wo ihre Stärken liegen. Nicht in den Sprachen, sondern in der Technik. Im Forschen, Ausprobieren und Entdecken. Im vernetzten Denken und Analysieren. Statt vor dem Computer zu sitzen und Vokabeln auswendig zu lernen, baut sie lieber Brücken oder solarbetriebene Modellautos. Oder sie repariert auf dem Segelschiff auf dem Neuenburgersee eine Steckdose, montiert neue Beschläge oder harzt das Deck.

Die neue Mint-Klasse am Gymnasium Köniz-Lerbermatt (siehe Kasten) kam daher für Bartetzko wie gerufen. «Im ersten Semester werden wir uns dem Hirn widmen», sagt sie stolz. Sie freue sich jetzt schon darauf, eines zu sezieren. Oder einen Roboter zu entwickeln und zu programmieren. Die Informatik werde jedoch Neuland sein für sie: «Ich baue einen Computer lieber auseinander, als an ihm zu arbeiten.»

Technik und Naturwissenschaften hätten sie schon immer interessiert, sagt die Tertianerin. Sie sagt es leise, fast schüchtern, und doch mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit. Schon als kleines Kind habe sie ihrem Vater immer über die Schulter geblickt, wenn dieser am Werkeln und Reparieren war. Zusammen mit ihrer jüngeren Schwester lötete sie «Zeugs» zusammen, beobachtete Tiere oder besorgte auf dem Schiff den Ölwechsel. Zum Geburtstag wünschte sie sich einen Stimmverzerrer. Nicht um Musik zu machen, sondern um stundenlang zu erforschen, wie man mit Technik Stimmlagen verändern kann.

Endlich kann sie ihre Begeisterung mit anderen teilen. Zwar besuchte sie im Untergymnasium regelmässig ein Biologiepraktikum. Doch dort war sie immer das einzige Mädchen. Von den Buben wurde sie zwar akzeptiert - man lerne mit der Zeit, sich durchzusetzen. «Aber wenn es kompliziert wurde, schaute der Lehrer jeweils in meine Richtung und fragte, ob auch ich es begriffen hätte.» Diese Sonderbehandlung habe sie mit der Zeit genervt: «Ich wurde immer besonders behütet - weil ich das einzige Mädchen war.» Dabei habe sie viel mehr drauf gehabt als mancher Junge. In der Mint-Klasse ist sie nun nicht mehr die Einzige: 6 von insgesamt 16 Klassenkameraden sind Mädchen.

Trotzdem war es dieses Praktikum, das ihr Interesse an naturwissenschaftlichen Fächern weckte. Es fasziniere sie, wie man mit Astronomie, Atomen und Mathematik konkrete Vorgänge verstehen könne, sagt Bartetzko. «In der Naturwissenschaft entdeckt man, wie etwas funktioniert, wie ein Endprodukt entsteht.» Wer technisch begabt sei, sei zudem weniger abhängig von anderen: «Mein Velo flicke ich jedenfalls selber.»

Die kleine, filigrane Frau kann ihre Begeisterung nun mit anderen Gymnasiastinnen teilen, sie ist jedoch immer noch in der Minderheit - die meisten Mädchen an Schweizer Gymnasien entscheiden sich für sprachliche oder musische Fächer. Weshalb? «In den Mint-Fächern muss man vernetzt denken und kombinieren», sagt Seraina Bartetzko, «viele Modis mögen das nicht, sie lernen lieber auswendig und entscheiden sich deshalb für Sprachen.»

Das liege an der Erziehung, ist sie überzeugt: «Vernetztes Denken wird bei Mädchen nicht gefördert.» Buben bauten mit Legos, während Mädchen mit Puppen spielten, «und die muss man ja nicht zusammenbauen». So würden Mädchen zurückgedrängt. Denn wenn ein Mädchen nicht schon als kleines Kind baue, forsche und entdecke, werde es sich auch in der Schule nicht für die technischen Fächer interessieren. «Im Untergymnasium jedenfalls fanden alle Mädchen ausser mir Chemie, Physik und Biologie langweilig. Oder es war ihnen zu kompliziert.» Dabei habe Technik viel mit dem Alltag zu tun, sagt Bartetzko. «Die Menschen haben die Umwelt mit Technik beinahe zerstört. Nun sollten wir unser technisches Wissen für die Natur einsetzen.» Wie die Ameisen, die als Gemeinschaft riesige Netzwerke aufbauen und Flüsse überqueren können. Mehr zusammenarbeiten: Das müsse in Zukunft die Devise sein. Ihre Zukunft sieht Seraina Bartetzko im medizinischen Bereich. Aber das könne sich noch ändern. Hauptsache, sie könne auch in ihrem zukünftigen Beruf etwas Praktisches tun, sagt sie. Drei Jahre hat sie nun Zeit, um sich zu entscheiden.


Gleich 13 Frauen wollen es wissen

Mit dem neuen Angebot der Mint-Klasse (Mint steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) ist das Gymnasium Köniz-Lerbermatt auf grosses Interesse gestossen: 34 Schülerinnen und Schüler haben sich für die Klasse angemeldet. Man sei deshalb gleich mit zwei Klassen gestartet, sagt die Projektleiterin Gabriele Leuenberger. Die Schüler wählen wie alle anderen Gymnasiasten ein Schwerpunktfach, zum Beispiel Biologie/Chemie, Wirtschaft/Recht oder Musik. In zwei zusätzlichen Mint-Lektionen pro Woche werden sie ihr Wissen aus Biologie, Physik, Chemie, Informatik und Mathematik in die Praxis umsetzen. Ausserdem können sie in Projektwochen und Praktika in Zusammenarbeit mit Universitäten, Unternehmen und Bundesverwaltung Berufsluft schnuppern und forschen. Mit diesem Angebot will Köniz-Lerbermatt das Interesse an naturwissenschaftlich-technischen Berufen und Studienrichtungen fördern. Ausserdem sollen Frauen, die in diesen Berufen massiv untervertreten sind, gefördert werden. 13 der 34 Schüler der beiden Mint-Klassen sind Frauen. 

 

Dieser Text erschien am 19. August 2013 im "Bund". 
Autorin: Manuela Ryter

 

Ein Veloweg für Zugnostalgiker

Ein Erlebnis-Trail in Neuseeland  

Die gelbe Diesellokomotive des Taieri Gorge Railway Train liegt still im majestätischen Bahnhof der Universitätsstadt Dunedin. Der Ort  stand während des Goldgräberrauschs des 19. Jahrhunderts in seiner Blüte und  ist heute die zweitgrösste Stadt der Südinsel  Neuseelands. Auf der historischen Zugstrecke wurde nicht nur das im Central  Otago gefundene Gold in die einstige Robben- und Walfängerkolonie  transportiert, sondern auch Vieh, Wolle und Früchte. Heute verkehrt der Zug nur noch auf den ersten 77 Kilometern von Dunedin nach Middlemarch.  

Es ist eine Fahrt für Zugnostalgiker und Romantiker. Denn der Zug erstrahlt  noch immer in seinem alten Charme, er verzückt mit den Holzbänken und den schön verzierten Holztüren  – und besonders mit den Plattformen zwischen den Wagen, welche einladen, die Fahrt draussen im Wind zu geniessen. Es ist ein Erlebnis, auf der  Plattform des hintersten Wagens zu sitzen,  Kirschen zu essen und die Steine auf die Geleise zu spucken, während der  Zug gemächlich durch Schluchten und Tunnels tuckert.  

Der Rest der Eisenbahnstrecke von Middlemarch nach Clyde wurde im Jahr  1990 stillgelegt und in einen Velo-,  Wander- und Reitweg umgebaut, den Otago Central Rail Trail. Noch heute zeugen die alten Trassee-Steine auf dem Fahrradweg von der historischen Zugstrecke.  Wer die Wahl hat, sollte deshalb das Mountainbike dem Tourenvelo  vorziehen. Denn auf 152 Kilometern führt der Pfad über historische Eisenbahnbrücken und durch tiefschwarze Tunnels, durch Schluchten und über  Hochebenen.  Die leeren Bahnhöfe an der Strecke künden Orte an, deren Namen beinahe poetisch klingen: Ranflury, Omakau,  Lauder, Oturehua, Wedderburn. Hier  finden sich gemütliche Unterkünfte oder Pubs, die mit üppigen Menus für die beim Velofahren nötigen Kalorien sorgen. Und wenn Wolken aufziehen,  beeindruckt die Landschaft erst recht mit dramatische Szenerien. 

 

GUT ZU WISSEN

Strecke: 152 Kilometer zwischen Clyde und Middlemarch.

Dauer: Drei bis fnf Tage bei rund 10 Kilometern pro Stunde.

Ausrüstung/Transport: Mountainbike empfohlen. Sowohl in Middlemarch wie auch in Clyde werden Fahrräder ausgeliehen und gefhrte Touren oder Rcktransporte angeboten.

Infos zum Taieri Gorge Railway von Dunedin nach Middlemarch unter www.taieri.co.nz.

Schwierigkeitsgrad: Der Veloweg ist sehr beliebt bei den Neuseeländern und wird auch von Familien mit Kindern, Eltern und Grosseltern befahren.

Infos: www.otagocentralrailtrail.co.nz

 

Text: Manuela Ryter

Dieser Text erschien am 21. Juni 2013 in der NZZ

«Jungen Frauen fehlen die Vorbilder»
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Frauen in die Technik – das ist das Ziel der Mint-Klasse am Gymnasium Köniz-Lerbermatt, denn in der Forschung und in Firmen fehlt es an Fachkräften. Prorektorin und Projektleiterin Gabriele Leuenberger erklärt, wie sie junge Frauen für Technik begeistern will.

Frau Leuenberger, Sie sind Deutschlehrerin. Waren Sie als Kind an Glühbirnen und Motoren interessiert?

Gabriele Leuenberger: Ich weiss es nicht mehr. Als Mutter zweier Mädchen weiss ich jedoch, dass das Interesse an den Phänomenen der Natur bei allen Kindern vorhanden ist, nicht nur bei den Buben. Sie wollen alles ausprobieren und verstehen, sie bauen eine Seilbahn, ein Floss oder ein Bienenhotel. Diese kindliche Begeisterung für Technik muss  erhalten und gefördert werden, auch bei den Mädchen.

Die Zahlen sprechen aber eine klare Sprache: Nur 5 Prozent der technisch-naturwissenschaftlichen Lehrstellen werden von Mädchen besetzt. Auch am Gymnasium und im Studium sind Frauen in technischen Fächern stark untervertreten. Weshalb interessieren sich Frauen nicht für Technik?

Frauen interessieren sich für Technik! Aber sie interessieren sich vielleicht für  andere  Fragestellungen als Männer.

Wie erklären Sie sich dann, dass Frauen in technischen Berufen so stark untervertreten sind? 

Das hat eher mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten denn mit den Interessen der Mädchen zu tun. Es gibt zu wenige Vorbilder für die jungen Frauen. Ausserdem  haben technische Berufe ein negatives Image, und Fächer wie Mathematik, Biologie, Chemie und Physik gelten bei vielen als anspruchsvoll und schwierig. Viele junge Frauen schätzen sich falsch ein und trauen sich zu wenig zu. Und umgekehrt werden Frauen in technischen Belangen nicht gleich akzeptiert wie Männer. Da braucht es Aufklärungsarbeit. Und Visionen.

Das Gymnasium Köniz-Lerbermatt hat eine Vision und eröffnet im Herbst 2013 eine Mint-Klasse – im Rahmen des kantonalen Projekts «Bildung und Technik» (der Bund berichtete). Zur Frauenförderung?

Nicht nur. Wir wollen zum einen jene jungen Männer ansprechen, die dem Gymnasium heute den Rücken kehren – der Frauenanteil am Gymnasium liegt bei 60 Prozent. Zum andern wollen wir junge Frauen für Mint-Fächer begeistern – sie sollen dadurch bei der Studien- und Berufswahl echte Wahlmöglichkeiten erhalten. Das ist Gleichberechtigung, doch die muss ihnen vorgelebt werden.

Wie will die Mint-Klasse das Interesse der jungen Frauen an Technik wecken?

Erstens, indem die Mint-Klasse auch andere Interessen zulässt, da die Schwerpunktfächer nach wie vor frei gewählt werden können. Eine vielseitig begabte Gymnasiastin kann also als Schwerpunkt Musik belegen und gleichzeitig in der Mint-Klasse sein. Zweitens, indem die Themen ganzheitlich und vernetzt bearbeitet werden. Das Gymnasium soll sich modernisieren und einen Bezug zur Welt herstellen, Bildung soll relevant und nachhaltig sein. Ich bin überzeugt, dass sich junge Frauen dann viel eher für Technik begeistern lassen.

Was heisst das konkret?

Die Mint-Klasse erhält zusätzliche Lektionen. In diesen sollen fächerübergreifend  Themen bearbeitet und erlebt werden, die einen Bezug zum Alltag und zum Leben haben. Beispielsweise das Thema Energie. Naturwissenschaft und Technik sollen als Abenteuer erlebt werden: Fragen sollen die Schüler motivieren, etwas zu entdecken und die Realität erlebend zu begreifen. Sie sollen möglichst viel selber erforschen, herausfinden und experimentieren. Und über   Werte nachdenken.

Über Werte?

Wird etwa das Thema Solarenergie behandelt, geht es auch um Werte: Was streben wir für eine Welt an? Was ist für uns lebenswert? Wo wollen wir hin?

Inwiefern werden mit einem solchen Unterricht vermehrt Mädchen angesprochen?

Unser Ansatz beruht auf Vernetzung. Dies erlaubt den Mädchen, Zugang zu jenen Fragestellungen zu finden, die sie interessieren und die im sonstigen Unterricht vielleicht zu kurz kommen. Und die Praktika ermöglichen ihnen, Vorurteile abzubauen und Vorbilder kennen zu lernen. Beispielsweise Frauen in der Forschung. Wir sind bereits mit der  Gleichstellungsbeauftragten der Universität Bern im Gespräch.

Müssen Frauen denn zwingend die  gleichen Berufe ausüben wie Männer?

Es gibt auch Studien, die belegen, dass Mädchen halt doch lieber mit Puppen spielen als mit Autos. Für mich ist dies nicht relevant für den  Lebenslauf einer Frau. Ein Mädchen kann mit Puppen spielen und sich trotzdem für Technik interessieren. Die Wirtschaft  braucht Fachkräfte im technischen Bereich, und wir haben das Potenzial der Frauen noch lange nicht ausgeschöpft. Das ist gesellschaftlich bedingt und sollte auch angegangen werden. Man weiss heute, dass ein  erhöhter Frauenanteil gewinnbringend ist für ein  Unternehmen. Es ist wichtig, dass Frauen nun auch dort arbeiten.

Ein Maschinenbaubetrieb, der fast nur Männer beschäftigt und weder Teilzeit-Pensen noch Lohngleichheit anbietet, ist für eine Frau aber nicht  sehr attraktiv. Wie stark ist hier auch die Wirtschaft gefordert?

Unternehmen müssen die Strukturen  anpassen und den Frauen einen Anreiz bieten. Eine Frau soll die Vorteile sehen, bei einem Unternehmen zu arbeiten – sie soll nicht zuerst allen Nachteilen nachgehen müssen. Und sie muss sich  akzeptiert fühlen.

Der Kanton Bern hat nun die Initiative ergriff en. Wird nicht bereits heute zu viel in die Bildung hineingeredet?

Es ist wichtig, dass Bund und Kantone die Stossrichtung angeben und solche Projekte unterstützen. Nur so kann das öffentliche Bewusstsein verändert werden: Es braucht eine positive Grundeinstellung gegenüber der Technik und den  Willen, das Problem nun anzupacken. Das kostet aber Geld, und dieses muss nun zur Verfügung gestellt werden.

MINT - Novum im Kanton Bern

Die Mint-Klasse (Mint steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) am Gymnasium Köniz-Lebermatt – die erste im Kanton Bern – startet 2013. Vorgesehen sind zwei zusätzliche Lektionen pro Woche sowie Praktika in Unternehmen und Wissenschaft. Informationen: www.koeniz-lerbermatt.ch

Dieses Interview erschien am 22. Oktober im "Bund".

Noten für die Zirkusmusikanten
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Im Circus Monti werden nicht bloss Artistennummern aneinandergereiht – hier fügt sich das Programm zu einem Gesamtkunstwerk. Einen wichtigen Teil beigesteuert hat heuer der Berner Musiker Resli Burri.

Das Zelt des Circus Monti ist randvoll beider Berner Premiere gestern Nachmittag auf der Berner Allmend. Die Kinder sitzen still und gespannt da. Und dann kommen die drei Clowns, sie suchen den Anfang des Seils, das sie verbindet, und finden dessen Ende. Und sie merken: Sie sind nicht am Anfang und nicht am Ende, sondern im Mittelpunkt der Welt. Oder zumindest dieses Zelts.

Die Clowns sind philosophisch und romantisch, liebevoll und lustig. Und sie treffen den Humor der Kleinsten, indem sie nicht tun, als wären sie lustig, sondern indem sie authentisch sind. Wie die Kinder auch. Diese lachen, als hätten sie noch nie etwas so Lustiges gesehen.

Auch Resli Burri war gestern Abend wieder im Circus Monti. Weil er es geniesst, die «lieb gewonnenen Artisten» in der Manege schillern zu sehen. Weil er jedes Mal «überwältigt» ist von der «Magie» der Vorstellungen. Aber auch, weil es zur Aufgabe eines Zirkus-Komponisten gehört, sich die Vorstellung immer und immer wieder von Neuem anzusehen, um sicherzustellen, dass die Musik sich nicht verdreht hat von einer Vorstellung zur nächsten.

Massgeschneiderte Musik

Zirkusmusik war schon immer Thema in der Musik von Burri, heute bekannt durch die Comedy-Band Les trois Suisses. Bei Patent Ochsner schepperte und trötete Burri während acht Jahren an vorderster Front mit. Auch in seiner Theatermusik halten die Rhythmen und Klänge der Zirkusmusik immer wieder Einzug. Und dann kam der echte Zirkus und fragte nach seiner Musik.

Der Multiinstrumentalist lernte extra für den Zirkus Noten schreiben – ein wichtiges Kommunikationsmittel während der Vorstellung. «Zirkusmusik muss flexibel sein», sagt der 53-Jährige, «verliert der Jongleur einen Ball, muss die Musik mit einem Loop ausgedehnt werden.»

Burri zog für sechs Wochen ins Winterquartier  des Circus Monti nach Wohlen. Er sah den Artisten beim Proben zu, er führte Gespräche mit dem Regie-Team – und zog sich dann zurück in «seinen» Zirkuswagen, um zu komponieren. Bei Minustemperaturen. «Es war sehr nüchtern, und es wurde sehr hart gearbeitet», erzählt er. Von romantischer Zirkusstimmung sei nicht viel zu spüren gewesen. Der Einblick in die Zirkuswelt sei eine «irrsinnige Erfahrung» gewesen, sagt Burri: «Die Musik stand nicht im Zentrum, sondern war lediglich Teil eines grossen Ganzen.»

Die Artisten im Monti sind jung und kreativ und sie verbinden ihre Kunststücke  zu einem Ganzen. Die Clowns werden zu Artisten, die Akrobaten sind lustig. Und immer wieder sind sie alle gemeinsam in der Manege. «Der Monti ist der einzige Zirkus, der noch den Mut hat, poetisch zu sein», sagt Burri. Hier gebe es Kunst statt Bluff , und hier müsse auch nicht alles grösser, höher und lauter sein wie anderswo im Zirkuszelt. Im Monti dürfe es auch leise und sinnlich  sein.

Teil dieses kreativen Ganzen, das eher der Strassenkunst gleicht denn einer traditionellen Zirkus-Show, ist auch Burris Musik. Er lässt einen Clown Banjo spielen, lernte einem anderen die Singende Säge. Auch Burris Musik hat den Mut, leise zu sein. Zu überraschen, ohne zu übertönen. Und manchmal auch zu schweigen.

«Zirkusmusik soll die Emotionen der Artistik verstärken und sich nie in den Vordergrund drängen», sagt er. Seine Zirkusmusik ist mal jazzig, mal lieblich, mal lustig im Balkan-Groove. Sie verzichtet fast ganz auf Zirkus-Klischees. Wie die gesamte Vorstellung des Monti auch.

Dieser Artikel erschien am 11. Oktober im "Bund".