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«Mein Velo repariere ich jedenfalls selber»
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Seraina Bartetzko: Die 16-jährige Bolligerin mag Technik - sie besucht nun die erste Mint-Klasse des Gymnasiums Köniz-Lerbermatt.

Sprachen sind nicht ihr Ding. Wenn Seraina Bartetzko Franz-Wörtchen lernen muss, behilft sie sich mit Bildern. Die 16-jährige Schülerin, die vergangene Woche in Köniz mit dem Gymnasium begonnen hat, weiss, wo ihre Stärken liegen. Nicht in den Sprachen, sondern in der Technik. Im Forschen, Ausprobieren und Entdecken. Im vernetzten Denken und Analysieren. Statt vor dem Computer zu sitzen und Vokabeln auswendig zu lernen, baut sie lieber Brücken oder solarbetriebene Modellautos. Oder sie repariert auf dem Segelschiff auf dem Neuenburgersee eine Steckdose, montiert neue Beschläge oder harzt das Deck.

Die neue Mint-Klasse am Gymnasium Köniz-Lerbermatt (siehe Kasten) kam daher für Bartetzko wie gerufen. «Im ersten Semester werden wir uns dem Hirn widmen», sagt sie stolz. Sie freue sich jetzt schon darauf, eines zu sezieren. Oder einen Roboter zu entwickeln und zu programmieren. Die Informatik werde jedoch Neuland sein für sie: «Ich baue einen Computer lieber auseinander, als an ihm zu arbeiten.»

Technik und Naturwissenschaften hätten sie schon immer interessiert, sagt die Tertianerin. Sie sagt es leise, fast schüchtern, und doch mit einer verblüffenden Selbstverständlichkeit. Schon als kleines Kind habe sie ihrem Vater immer über die Schulter geblickt, wenn dieser am Werkeln und Reparieren war. Zusammen mit ihrer jüngeren Schwester lötete sie «Zeugs» zusammen, beobachtete Tiere oder besorgte auf dem Schiff den Ölwechsel. Zum Geburtstag wünschte sie sich einen Stimmverzerrer. Nicht um Musik zu machen, sondern um stundenlang zu erforschen, wie man mit Technik Stimmlagen verändern kann.

Endlich kann sie ihre Begeisterung mit anderen teilen. Zwar besuchte sie im Untergymnasium regelmässig ein Biologiepraktikum. Doch dort war sie immer das einzige Mädchen. Von den Buben wurde sie zwar akzeptiert - man lerne mit der Zeit, sich durchzusetzen. «Aber wenn es kompliziert wurde, schaute der Lehrer jeweils in meine Richtung und fragte, ob auch ich es begriffen hätte.» Diese Sonderbehandlung habe sie mit der Zeit genervt: «Ich wurde immer besonders behütet - weil ich das einzige Mädchen war.» Dabei habe sie viel mehr drauf gehabt als mancher Junge. In der Mint-Klasse ist sie nun nicht mehr die Einzige: 6 von insgesamt 16 Klassenkameraden sind Mädchen.

Trotzdem war es dieses Praktikum, das ihr Interesse an naturwissenschaftlichen Fächern weckte. Es fasziniere sie, wie man mit Astronomie, Atomen und Mathematik konkrete Vorgänge verstehen könne, sagt Bartetzko. «In der Naturwissenschaft entdeckt man, wie etwas funktioniert, wie ein Endprodukt entsteht.» Wer technisch begabt sei, sei zudem weniger abhängig von anderen: «Mein Velo flicke ich jedenfalls selber.»

Die kleine, filigrane Frau kann ihre Begeisterung nun mit anderen Gymnasiastinnen teilen, sie ist jedoch immer noch in der Minderheit - die meisten Mädchen an Schweizer Gymnasien entscheiden sich für sprachliche oder musische Fächer. Weshalb? «In den Mint-Fächern muss man vernetzt denken und kombinieren», sagt Seraina Bartetzko, «viele Modis mögen das nicht, sie lernen lieber auswendig und entscheiden sich deshalb für Sprachen.»

Das liege an der Erziehung, ist sie überzeugt: «Vernetztes Denken wird bei Mädchen nicht gefördert.» Buben bauten mit Legos, während Mädchen mit Puppen spielten, «und die muss man ja nicht zusammenbauen». So würden Mädchen zurückgedrängt. Denn wenn ein Mädchen nicht schon als kleines Kind baue, forsche und entdecke, werde es sich auch in der Schule nicht für die technischen Fächer interessieren. «Im Untergymnasium jedenfalls fanden alle Mädchen ausser mir Chemie, Physik und Biologie langweilig. Oder es war ihnen zu kompliziert.» Dabei habe Technik viel mit dem Alltag zu tun, sagt Bartetzko. «Die Menschen haben die Umwelt mit Technik beinahe zerstört. Nun sollten wir unser technisches Wissen für die Natur einsetzen.» Wie die Ameisen, die als Gemeinschaft riesige Netzwerke aufbauen und Flüsse überqueren können. Mehr zusammenarbeiten: Das müsse in Zukunft die Devise sein. Ihre Zukunft sieht Seraina Bartetzko im medizinischen Bereich. Aber das könne sich noch ändern. Hauptsache, sie könne auch in ihrem zukünftigen Beruf etwas Praktisches tun, sagt sie. Drei Jahre hat sie nun Zeit, um sich zu entscheiden.


Gleich 13 Frauen wollen es wissen

Mit dem neuen Angebot der Mint-Klasse (Mint steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) ist das Gymnasium Köniz-Lerbermatt auf grosses Interesse gestossen: 34 Schülerinnen und Schüler haben sich für die Klasse angemeldet. Man sei deshalb gleich mit zwei Klassen gestartet, sagt die Projektleiterin Gabriele Leuenberger. Die Schüler wählen wie alle anderen Gymnasiasten ein Schwerpunktfach, zum Beispiel Biologie/Chemie, Wirtschaft/Recht oder Musik. In zwei zusätzlichen Mint-Lektionen pro Woche werden sie ihr Wissen aus Biologie, Physik, Chemie, Informatik und Mathematik in die Praxis umsetzen. Ausserdem können sie in Projektwochen und Praktika in Zusammenarbeit mit Universitäten, Unternehmen und Bundesverwaltung Berufsluft schnuppern und forschen. Mit diesem Angebot will Köniz-Lerbermatt das Interesse an naturwissenschaftlich-technischen Berufen und Studienrichtungen fördern. Ausserdem sollen Frauen, die in diesen Berufen massiv untervertreten sind, gefördert werden. 13 der 34 Schüler der beiden Mint-Klassen sind Frauen. 

 

Dieser Text erschien am 19. August 2013 im "Bund". 
Autorin: Manuela Ryter