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«Konsequent wären gar keine Noten»
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Kaum publik, fliesst der Lehrplan 21 auch schon in die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer ein. Laut Rektor Martin Schäfer von der PH Bern dürfte künftig die Benotung der Schüler noch zu reden geben.

Martin Schäfer, heute beginnt das neue Semester an der PH Bern: Als erste PH der Schweiz werden Sie die angehenden Lehrerinnen und Lehrer nach dem Lehrplan 21 ausbilden. Vieles ist jedoch noch nicht ausgereift. Ist es nicht zu früh?

Nein. Wir müssen jetzt anfangen, denn die mehr als 400 angehenden Lehrerinnen und Lehrer, die heute ihre Ausbildung an der PH Bern in Angriff nehmen, werden diese 2016 bis 2018 abschliessen - genau dann, wenn der Lehrplan 21 im Kanton Bern eingeführt werden soll.

Der neue Lehrplan soll die Bildungsziele der Schulen in den 21 Deutschschweizer Kantonen harmonisieren. Wird er dieses Ziel erreichen?

Das hängt davon ab, was nun in den Kantonen passiert - ob sich dort der Geist, etwas Gemeinsames zu entwickeln, durchsetzt oder die lokal über Jahre eingeschliffenen Haltungen wie «Wir haben es bisher so gemacht, also machen wir es auch weiterhin so».

Dann stehen die Chancen schlecht? Im Bildungswesen ist der Föderalismus ja bekanntlich sehr stark.

Ich erwarte, dass es viele kantonale Anpassungen geben wird, und sehe daher ein Risiko, dass das Gemeinsame abgeschwächt wird. Das wäre schade, denn der jetzige Lehrplan 21 wäre eigentlich eine gute Basis für die Harmonisierung.

Erziehungsdirektor Bernhard Pulver beschrieb den Lehrplan 21 nicht als Reform von oben, sondern als Weiterentwicklung der Schule von unten. Was heisst das für die PH?

Der Lehrplan 21 wird insbesondere den Unterricht beeinflussen. Er wird aber auch ein Anlass sein, die Schule als Ganzes zu entwickeln. Für die fächerübergreifenden Themen etwa werden die Lehrkräfte stärker zusammenarbeiten müssen. Als Hochschule müssen wir dies den Studierenden aufzeigen.

Bisher schrieben Lehrpläne vor, was eine Lehrerin im Unterricht durchnehmen muss. Nun legt der Lehrplan 21 fest, was ein Schüler nach der 2., 6., 9. Klasse wissen und können muss. Wie werden Sie die Lehrkräfte auf diese sogenannte Kompetenzorientierung vorbereiten?

Indem wir das Grundkonzept des neuen Lehrplans auch für die PH übernehmen. Wir haben die Studiengänge dafür komplett neu entwickelt.

Was haben Sie geändert?

Vieles. Erstens werden wir vom heutigen Tag an der PH noch stärker kompetenzorientiert lehren. Wie die Schulkinder stehen auch unsere Studierenden alle an einem anderen Ort, jede und jeder Einzelne bringt ein anderes Wissen mit - das Studium soll diesen individuellen Wegen Rechnung tragen. Was am Schluss zählt, sind die Kompetenzen, die eine Lehrperson haben muss, nicht der Weg dorthin. Zweitens setzen wir uns - wie künftig die Schulen - mit den überfachlichen Kompetenzen und drittens mit den fächerübergreifenden Themen auseinander. So werden wir etwa die Medienbildung in die Lehre integrieren, wie es künftig an den Schulen vorgesehen ist. Viertens haben wir die Fachbereiche angepasst. Was zum Beispiel auf der Sekundarstufe I bisher als Biologie, Physik und Chemie unterrichtet wurde, heisst Natur und Technik. Die künftigen Lehrkräfte dieser Stufe werden breiter ausgebildet: Bisher absolvierten sie drei Disziplinen, neu vier bis sieben. Ein guter Schritt.

Dann ist die PH gewissermassen ein Lehrplan 21-Versuchskaninchen?

Wir streben konkrete Kompetenzen unserer Absolventinnen und Absolventen an. Doch schaffen wir es auch, diese zu überprüfen? Wenn nicht - wie können wir dies dann von den Schulen erwarten? Längere Praktika sind dazu gut geeignet, doch in der Lehre sind wir noch am Suchen. Dies wird auch für Schulen ein wichtiges Thema sein.

Heisst das, es ist noch unklar, wie Schüler in Zukunft benotet werden?

Ja, diese Frage wird noch zu diskutieren geben. Kompetenzen können nicht ausschliesslich wie Wissen abgefragt und beurteilt werden. Auch wenn heute wieder eine Tendenz zu mehr Noten spürbar ist, wird die Diskussion über die Funktion und Rolle von Noten durch den Lehrplan 21 sicher wieder neu aufgeworfen. Da wird man hoffentlich über die Kantonsgrenzen hinweg nach Lösungen suchen.

Würden Sie die Abschaffung der Noten begrüssen?

Diese Lösung wäre sicher die konsequenteste Umsetzung der Kompetenzorientierung. Aber das würde im Moment kaum auf eine breite Akzeptanz stossen. Ich habe selbst zehn Jahre lang an einer öffentlichen Schule ohne Noten unterrichtet. Für die Schülerinnen und Schüler hatte dieses System keine Nachteile, aber für uns Lehrpersonen war es anspruchsvoller, die Leistungen der Schüler den Eltern zu kommunizieren.

Laut Erziehungsdirektor Pulver gibt es mit dem Lehrplan 21 keine grossen Änderungen im Kanton Bern. Ist der Schritt zur Kompetenzorientierung nicht ein Paradigmenwechsel?

Ich würde nicht von einem Paradigmenwechsel sprechen - der Lehrplan 21 ist eher eine Evolution denn eine Revolution. Denn bereits der Lehrplan 95 enthält Kompetenzziele. Der neue Lehrplan ist da eine Erweiterung.

Gerade was die integrierte Medienbildung angeht, gibt es noch viele Fragezeichen. Und doch wird es gerade in diesem Bereich am meisten Aus- und Weiterbildung brauchen. Ist die PH parat?

Wir werden in der Aus- und Weiterbildung jene Dozierenden mit Medienwissen mit solchen aus andern Fachbereichen zusammenarbeiten lassen. Sie müssen gemeinsam ausarbeiten, was jeder in seinem Fach realisieren kann. Auch in den Schulen sollte jede Lehrperson ihren Anteil leisten können. Ein ganz natürlicher Umgang mit neuen Medien wird in Zukunft dazugehören. Und zwar in jedem Fach. Man darf diese Themen nicht nur Fachleuten überlassen.

Mit dem geplanten Bildungsmonitoring, einer Art Schweizer Pisa-Studie, werden es die Lehrer künftig jedoch schwarz auf weiss haben, wie effizient ihr Unterricht war.

Das ist so. Druck wird jedoch nur entstehen, wenn die Tests nicht richtig aufgebaut sind. Falls nur Wissen abgefragt wird, werden die Lehrpersonen nur noch darauf fokussieren. Sie werden auf Wissensbestände hinarbeiten statt auf Kompetenzen. Das muss verhindert werden.

Lehrplan 21 Mehr Kompetenz

Der Lehrplan 21 soll die Bildungsziele in den 21 Deutschschweizer Kantonen harmonisieren. Die erste Fassung ist in der Vernehmlassung. Die wichtigste Neuerung ist die Kompetenzorientierung. Ausserdem sieht er neben den Fachbereichen, die an die traditionellen Fächer knüpfen, überfachliche Kompetenzen (Eigenständigkeit, Selbstreflexion, Konfliktfähigkeit) und fächerübergreifende Themen wie berufliche Orientierung, Medienbildung und nachhaltige Entwicklung vor. Letztere sollen im Rahmen der anderen Fächer in den Unterricht einfliessen. 20 Prozent der Lektionen können die Kantone selbst gestalten. Mit dem Bildungsmonitoring, einer Art Pisa-Test, werden ab 2016 die Leistungen der Schüler stichprobenartig abgefragt. (mry)

Dieser Artikel erschien am 16. September 2013 im "Bund".

Text: Manuela Ryter, textbüro manuskript, bern