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Im Zauber der Fremde
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Fotos aus fernen Welten - das Völkerkundemuseum Burgdorf zeigt die Erinnerungen des Heinrich Schiffmann

Er war jung, reich, reiselustig und krank - und seine Leidenschaft galt der Fotografie: Der Burgdorfer Heinrich Schiffmann reiste mit seiner Kamera jahrelang «zur Kur» über die Weltmeere. Und kehrte mit Schachteln voller belichteter Glasplatten zurück. Die Fotos sind nun im Schloss zu sehen.

Heinrich Schiffmann, geboren 1872 am Kreuzgraben in Burgdorf. Unter dem linken Auge eine Narbe, auf dem Oberarm eine Tätowierung. Es ist ein Anker. Ein Seemannsanker. Aber «Henri» Schiffmann war kein Seemann, wie die Angaben in seinem Pass zeigen. Er war der Sohn einer betuchten Burgdorfer Kaufmannsfamilie. Er war jung und reiselustig. Und er war tuberkulosekrank - damals ein Todesurteil auf Zeit. Die Meeresluft werde ihm gut tun, rieten die Ärzte. Und so machte er sich 1892 als 20-Jähriger auf nach England und Norwegen, im Auftrag der Käseexportfirma seines Grossvaters, die er dereinst übernehmen sollte.

Im Dampfer reiste er später um die Welt, einmal gegen Westen, einmal gegen Osten. Er umschiffte Südamerika und fuhr nach Afrika. Er besuchte Jerusalem und Kairo, Tokio und die Falkland-Inseln. Im Gepäck hatte er stets zwei schwere Holzkoffer mit einem Fotoapparat und den zerbrechlichen Glasplatten, auf denen er seine Abenteuer verewigte. Und er sammelte Fotografien, Bücher, Dias und ethnographische Gegenstände - Souvenirs, mit denen er die Exotik der Fremde in die Heimat brachte. Er reiste, bis er 1903 auf einer Wanderung auf La Réunion, einer französischen Kolonie im indischen Ozean, erkrankte. Eine Erkältung. Oder Malaria. Er sollte sich nie mehr davon erholen. Doch seine vielen belichteten Glasscheiben blieben erhalten - ein Teil von ihnen ist nun im Museum für Völkerkunde im Schloss Burgdorf zu sehen.

Abenteuerlust und Pioniergeist

Mit seiner ethnographischen Sammlung, die Schiffmann in seinem Testament dem Gymnasium Burgdorf vermachte, legte der reiche Burgdorfer Weltenbummler den Grundstein für das heutige Völkerkundemuseum Burgdorf - 500 der insgesamt 4500 Objekte sind von ihm. Mit der Sonderausstellung «Auf Glas gebannt» wendet sich das Museum nun erstmals Schiffmann selbst zu.

Neben seinen eigenen Fotos und Dias sind auch gekaufte Studiofotos und Erinnerungen, Karten, seine Kameras und auch ein Guckkasten, mit dem man «dreidimensionale» Glasstereodias sehen konnte, zu sehen. «Dass ein Kaufmannssohn viel reiste, war keine Besonderheit - das gehörte zum guten Ton», sagt Ko-Museumsleiterin Katharina Meyer. Die Händler schickten ihre Söhne hinaus in die Welt, sie sollten Fremdsprachen lernen und «weltläufig» werden für die Arbeit im internationalen Handel. Aber dass einer eine Fotoausrüstung mit sich trug, war nicht alltäglich. Und aus Schiffmanns Fotos ist ersichtlich, dass er nicht nur des Handels oder der Tuberkulose wegen auf Reisen war, sondern auch aus Abenteuerlust und Pioniergeist.

Neffe hortete die Fotos

«Er war ,gwunderig’ und fasziniert von den Völkern. Die Geografie zu inhalieren, sie kennen zu lernen - das war sein Fanatismus», erzählt Alfred Guido Roth. Er ist der Neffe Schiffmanns, leitete während Jahren die Burgdorfer Käseexportfirma, die dieser hätte übernehmen sollen, und wohnt im selben Haus am Kreuzgraben, in dem Schiffmann geboren wurde. Und als promovierter Historiker hat er Schiffmanns Reisen näher unter die Lupe genommen: Er recherchierte und ordnete zusammen mit seinem Vater, dem Bruder Schiffmanns, die 1600 Papierabzüge, 800 Dias und 200 Stereodias, die er nun zum Teil dem Völkerkundemuseum übergeben hat. «Er ist mir lebendig vor Augen», sagt der 93-Jährige. Schiffmann sei ein Weltenbummler gewesen, «aber im Grunde war er ein armer Kerl, gezeichnet von seiner Krankheit».

Fotos der «Wilden» als Souvenir

Was Schiffmann auf seinen Reisen erlebte und was ihn an der Fremde anzog, lässt sich nur erahnen. Denn Tagebücher und schriftliche Dokumente hat er kaum hinterlassen. Doch seine Fotosammlung zeigt, wie er die Welt erblickte. Ein Segelschiff vor den Küsten Chiles. Der Blick auf das Deck der Drittklasspassagiere. Eine Marktszene in Syrien, eine bevölkerte Strasse in Guadeloupe, spielende Kinder in Tunesien, eine Brücke in Shanghai.

Die kitschigen Fotos, die er sich in den Hafenstädten dazukaufte, zeigen gestellte Szenen mit traditionellen Menschen. Sie zeigen die «Wilden» in den fernen Welten, tamilische Frauen mit nackten Brüsten und Chinesen mit langen Zöpfen. Bilder, die längst nicht der Realität entsprachen, die Schiffmann zu Auge bekam. «Sie zeigen das Traumbild vom Fremden, das die Europäer damals hatten: romantisch und zugleich primitiv.», sagt Katharina Meyer. Als Souvenirs seien solche Bilder besonders beliebt gewesen. Und mit solchen wollte Schiffmann nach Hause kehren. Denn schliesslich war er kein Seemann. Sondern ein betuchter Kaufmannssohn mit Entdeckergeist.

Text: Manuela Ryter

Dieser Artikel erschien am 4. Juli 2006 im "Bund".