Meister der Töfflibuben

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Jahrzehntelang hat Bruno Andrenacci in Muri Vespas, Velos und Töfflis geflickt, nun geht er in Pension.

Ob ein tropfender Auspuff, ein geplatzter Velopneu oder Sorgen mit der Ehefrau – in «Brünus» Velo- und Töffwerkstatt in Muri wurde jedes Problem diskutiert und wenn irgendwie möglich auch behoben. In den 32 Jahren wurde Bruno Andrenacci zum Muriger Original, nun heisst es: «Arrivederci».

Der Abschied ist bitter. Bruno Andrenacci tut zwar so, als wäre nichts, als sei die kurz bevorstehende Ladenschliessung noch Jahre entfernt. Als würde das grosse Abschiedsfest für ihn nie stattfinden. Er hetzt durch seine Werkstatt, empfängt hier einen Kunden mit einem herzlichen «Ciao», prüft dort die Höhe eines Velosattels. Er dreht draussen den knarrenden Motor einer alten Vespa auf, die er am Tag zuvor geflickt hat, und klopft die Schulter eines alten Freundes, der hier regelmässig zu einem Schwatz auftaucht. Hund Jerry, sein «Chef», zottelt ihm hinterher. Ein Tag wie jeder andere, seit er 1975 seine Werkstatt hier im Murizentrum eröffnet hat. Und doch ist alles anders. Kein Töffli, kein Velo, keine Vespa, kein Motorrad steht mehr aufgereiht vor dem Laden. Der Abschied ist allgegenwärtig, die Werkstatt schon fast leer geräumt. Nur die Madonna blickt noch immer vom kitschigen Bild im Büro, und auf einer verblichenen Werbung posiert eine hübsche Italienerin sexy neben einem hellblauen Töffli. «Ciao ciao bambina», heisst es dort verheissungsvoll.

«Ich bin mit Muri gewachsen»

Für Bruno heisst es nun «Arrivederci»: 52 Jahre lang hat er in Italien, in Ostermundigen und seit 1975 in Muri Velos und Töfflis geflickt und verkauft. Nun geht der 67-Jährige in Pension. Er dürfe gar nicht an das Fest denken, sagt Andrenacci, der mit allen per Du ist, mit dem reichen Muriger Geschäftsmann wie mit dem Arbeitslosen, der täglich vorbeischaut. Er werde nur traurig, «wäge de Kinde», sagt er mit breiten italienischen Akzent. Er spricht von den Kindern, die schon vor dreissig Jahren in seinen Laden kamen. Die sich hier im italienischen Chaos wohl fühlten und für ein Gipfeli und Schoggistängeli am Morgen die Velos und Töfflis nach draussen schoben und aufreihten. «Wie viele habe ich aufwachsen sehen! Sie sind heute gross und kommen immer noch vorbei!» Er sei mit Muri gewachsen, sagt der hagere Mann mit dem südländischen Charme: Er kenne jeden hier – und jeder kenne ihn.

Hunderte Fahrräder hat er in dieser Werkstatt verkauft. Nächtelang hat er an kaputten Motorrädern gebastelt. Er sei der beste «Mech» der Region, heisst es bei seinen Kunden. «Er flickt alles und schraubt jeweils so lange, bis er herausfindet, was kaputt ist», sagt Hans Mehri, der seine Vespa schon zu «Bruno» brachte, als dieser in den 1960er- Jahren noch in einer Garage in Ostermundigen angestellt war. Schnell war der junge Italiener damals bekannt und wurde zum Meister der Töfflijugend aus der ganzen Region. Sogar aus Frutigen und Kandersteg seien sie gekommen, sagt Andrenacci und lacht. «Frisiert habe ich die Töfflis zwar nie, die Polizei hat mich oft genug kontrolliert.» Tipps habe er den Buben jedoch viele gegeben.

Motoren, seine Leidenschaft

Motoren waren schon immer Andrenaccis Leidenschaft: Als Halbwüchsiger begann der Bauernsohn in Teramo seine Lehre als Mechaniker. Damals, in den 1950er-Jahren, kurvte er auf seiner ersten Gilera um die Wette und schraubte an Maschinen von Rennprofis herum. Die alte rote Gilera – «ein richtiger Spaghetti-Töff» – steht jetzt neben vier weiteren in der Werkstatt. «Das sind meine ,Schätzelis‘», sagt Bruno, der alles sammelt, was ihm in die Hände kommt. Die meisten dieser Maschinen hat er bereits günstig verkauft, wie fast alles andere auch. Nur der rote Ducati, der komme zu ihm nach Hause, «in mein privates Museum».

Immer genügend Zeit fürs Soziale

Noch geht es in der Werkstatt jedoch geschäftig zu und her. Die Kunden sind gekommen, um ein letztes Mal in Andrenaccis Reich einzutauchen: Ein Reich, in dem Gott Italiener ist und einen Motor hat. Wo inmitten von alten Gefährten, Schrauben, Pneus, Velosätteln und Ferraribildern gelacht und gescherzt wird, wo nicht nur der Motorschaden der Vespa, sondern auch der Kummer mit der Liebsten und die Sorgen wegen des leeren Portemonnaies diskutiert werden. Tagsüber nahm sich Andrenacci jeweils Zeit «fürs Soziale». Zum Plaudern, zum Sprücheklopfen und Zuhören. «Arbeiten musste ich dann halt in der Nacht.» Er schaute dabei nicht auf die Uhr und schraubte etliche Stunden, ohne sie in Rechnung zu stellen – «Hauptsache, ich konnte es flicken». Schrauben und flicken wird Andrenacci weiterhin: in einer Mini-Werkstatt in Gümligen. Zum Spass und um den Kontakt mit den vielen «Kindern», die nun erwachsen sind, zu pflegen, sagt er und betrachtet die gepackten Bananenschachteln. Den Stapel mit den Formel-1-Heften und die Schmetterlinge, die mit farbigen Flügeln aufgestochen in einem Rahmen an der Wand hängen.

Text: Manuela Ryter
Dieses Porträt erschien am 11. August 2007 im "Bund".​