«Jeder kann seinen Traum leben»

Seit 2000 ist Taekwondo offizielle olympische Sportart. Mit Manuela Bezzola hat sich für «Beijing 2008» nun erstmals eine Schweizerin für die Olympischen Spiele qualifiziert. Mit dem Glauben, dass alle Ziele erreichbar sind, hat die 18-Jährige ihren Traum erfüllt. Ausgeträumt hat sie aber noch lange nicht: «In Peking ist alles möglich.»

Istanbul, 26. Januar 2008. Nun war sie da: die letzte Chance. Der Traum von Olympia, den Manuela Bezzola seit Jahren geträumt hatte, war plötzlich in greifbarer Nähe. Bereits als 10-Jährige hatte Bezzola die Olympischen Spiele in Sydney im Fernsehen mitverfolgt. Zum ersten Mal war Taekwondo als offizielle olympische Sportart zugelassen. «So weit möchte ich auch kommen», hatte sich die junge Taekwondo-Kämpferin damals gedacht. Und vor vier Jahren, als sie Federer, Fischer und Co. bei der Eröffnungsfeier in Athen einlaufen sah, war für sie klar: «In ‹Beijing 2008› will ich dabei sein. Unbedingt.»

«Es war mein Tag und ich wusste es»

Und nun war ihre letzte Chance da. Die erste, am weltweiten Qualifikationsturnier in Manchester, hatte Bezzola im Herbst vergeben. An der kontinentalen Ausscheidung in Istanbul waren noch einmal drei Tickets pro Gewichtsklasse zu holen. Wer einen Match verliert, ist draussen. Manuela Bezzola stellte sich der ersten Gegnerin und gewann. Dann der zweiten. Der dritten. Wenn sie kämpft, fliegen ihre Beine blitzschnell durch die Luft, sie greift an, weicht aus, alles geht so rasant schnell, dass die einzelnen Bewegungen kaum auszumachen sind. «Es hat alles gepasst. Es war mein Tag und ich wusste es.» Schon als sie am Morgen aufgewacht sei, habe sie sich gesagt: «Heute fühle ich mich super, heute bin ich besser als die anderen, heute ist meine Chance.»

Und dann stand sie im entscheidenden Match – und gewann. Sie habe keine Erinnerung an diesen Match, sie habe beim Kämpfen jedes Zeitgefühl verloren, sagt glauben. Ich war überglücklich.» Jahrelang habe sie dafür trainiert, in den letzten Jahren täglich bis zu fünf Stunden neben ihrer kaufmännischen Sportlehre. Geschlafen habe sie in jener Nacht keine Minute.

Mit Selbstbewusstsein zum Erfolg

Heute blickt Manuela Bezzola mit Gelassenheit auf diesen Wintertag in Istanbul zurück. Sie sitzt auf dem Sofa in ihrem Elternhaus in Studen bei Biel, in Jeans und schwarzem Pulli, ihre gelockten Haare wie eine Ballerina streng nach hinten gekämmt. Ihre Qualifikation schreibt sie in erster Linie ihrem positiven und zielgerichteten Denken zu, denn «ich bin nicht besser als die anderen». Auf diesem Niveau seien die Leistungsunterschiede minimal, sagt die Junioreneuropameisterin 2005 und WM-Fünfte 2007, die erst seit einem Jahr in der Elite startet. Entscheidend seien Kleinigkeiten – und die mentale Stärke.

«Wenn man etwas wirklich will und alles dafür gibt, erhält man auch einmal 100 Prozent zurück. Jeder kann seinen Traum leben.» Sie sei von Natur aus ehrgeizig, dickköpfig und hartnäckig. Und das Selbstvertrauen werde durch Bezzola rückblickend. «Plötzlich machte es Piep und es war fertig.» Eine riesige Last sei von ihr gefall en: «Mein Traum war in Erfüllung gegangen. Ich konnte es gar nicht ihren Sport enorm gestärkt, sagt Bezzola. Das Vertrauen in die eigene körperliche und geistige Kraft sei im Taekwondo zentral, dies habe ihr René Bundeli, ihr Taekwondo-Lehrer und «Übervater», beigebracht. Wenn sie ihre Kraft und ihren Willen auf ein Ziel fokussiere, sei sie auch fähig, mit der Hand ein Holzbrett oder einen Ziegelstein zu zerschlagen. An ein mögliches Versagen denke sie gar nicht erst. Und falls sie doch mal eine Niederlage einstecke, dann motiviere sie das, «noch härter an mir zu arbeiten».

Kampf für mehr Anerkennung

Nun geniesst Bezzola den Rummel, den sie mit ihrer Olympia-Qualifikation ausgelöst hat. Freunde haben ihr gratuliert, alte Bekannte schickten Blumen, ehemalige Lehrer Karten, die Medien, «die sich vorher nie für unseren Sport interessierten», standen plötzlich vor der Tür. Es freue sie enorm, dass Taekwondo dank ihrer Qualifikation nun auch in der Schweiz etwas mehr Anerkennung erhalte, sagt Bezzola. In Spanien, Italien, Amerika – und natürlich Asien – sei Taekwondo seit langem sehr bekannt und beliebt. In der Schweiz aber kenne diese traditionelle koreanische Kampfsportart fast niemand. Es werde Zeit, dass sich dies ändere.

Dass die Olympischen Spiele in Asien stattfinden, wo ihr Sport herkommt, sei umso spannender, «auch wenn die Spannungen in China die Vorfreude etwas trüben». Sie glaube aber daran, dass der Sport die Welt vereine: «Die Olympischen Spiele sind wohl das einzige Ereignis, das so viele Kulturen zusammenbringt.» Spitzensport sei in dem Sinn eine gute Lebensschule: Man lerne nicht nur «zu beissen», sondern auch den Umgang mit anderen Mentalitäten und Kulturen. Asien kennt Bezzola bereits bestens: Sie war schon viele Male in Korea, Vietnam und China und hat Freundschaften mit asiatischen Sportlerinnen geschlossen. «Wer sich in Asien in Taekwondo für die Olympischen Spiele qualifiziert, ist dort ein Superstar, ähnlich wie hier Roger Federer.»

Peking und das Olympische Dorf, wo im vergangenen Jahr die Taekwondo-WM stattfand, seien unglaublich imposant, sagt die18-Jährige, «auch wenn damals noch alles eine Baustelle war». Die Chinesen hätten gar die Autobahnen gesperrt, um die Busse mit den Sportlern ins Olympische Dorf zu eskortieren.

An Manuela Bezzolas Zimmertür hängt eine selbstgemalte Zeichnung mit den olympischen Ringen und dem Schriftzug «Beijing 2008». Jahrelang habe sie jede Minute an Peking gedacht, daran, dass sie es schaffen könnte. Nun werde sie in ein paar Monaten selbst neben ihren Idolen an der Eröffnungsfeier einlaufen. «Plötzlich bin ich eine von ihnen.» Das sei wirklich einmalig. Sie werde sich jedoch neben all den Sportgrössen «klein vorkommen». Doch sie wolle ihren Traum nun weiterträumen: Sie gehe nicht an die Olympischen Spiele, um dabei zu sein, sagt sie in ihrer unerschrockenen und doch bescheidenen Art: «In Peking ist alles möglich.» Auch die beste Taekwondo- Kämpferin sei schlagbar. Auch Gold sei möglich. «Weshalb sollte mein Traum nicht weitergehen?»

Text: Manuela Ryter

Dieses Porträt erschien am 17. April 2008 im swiss sport 2/08, Magazin von Swiss Olympic.​